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Vom Wert der Gewerkschaften

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Daniel Lienhard, 31. März 2023 (Schweizer Musikzeitung)

Es wird kaum ein SMV-Mitglied geben, das den Sinn einer starken Musikergewerkschaft in Zweifel zieht. Dass Gewerkschaften auf Wirtschaft und Gesellschaft einen positiven Einfluss ausüben, fasst auch eine neue Studie des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) zusammen.

Über 100 Studien hat der SGB für seine Untersuchungen zu Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträgen (GAV) ausgewertet. Es wurde ins­besondere zu den Themen Lohn, Arbeitsbedingungen, Beschäftigung, Arbeitslo­sigkeit sowie Produktivität und Innovationstätigkeit geforscht. Natürlich sind nicht alle Resultate für unseren Beruf zutreffend oder relevant. Es lohnt sich aber dennoch auch für Musiker*innen, sich die Bedeutung und den Wert der Gewerkschaften, die sich seit über 100 Jahren für Berufstätige einsetzen, in Er­innerung zu rufen. Gewerkschaften verhandeln mit den Arbeitgebern Gesamt­arbeitsverträge und ersetzen so die individuelle Lohnpolitik, was in der Schweiz ungefähr die Hälfte der Lohnabhängigen betrifft. Die Forscher*innen ha­ben die drei folgenden zentralen Thesen herausgefunden: Gewerkschaften und GAV können die Löhne erhöhen und Ungleichheiten reduzieren, Lohnerhöhungen gehen eher auf Kosten der Gewinne als der Beschäftigung, und ausserdem können Ge­werkschaften die Produktivität erhöhen.

Geringere Lohnunterschiede, grössere Lohngleichheit

Im Detail betrachtet, sieht es so aus, dass GAV-Mindestlöhne sich normaler­weise im Bereich der branchenüblichen Löhne bewegen. GAV erschweren grund­sätzlich das Öffnen einer Lohnschere und führen zu geringeren Lohnunterschie­den als vollständig individuelle Lohnverhandlungen. In der Schweiz haben die Gewerkschaften im Vergleich zu den meisten Ländern noch eine zusätzliche Aufgabe: Seit der Arbeitsmarkt für ausländische Firmen geöffnet wurde, verhin­dern GAV-Mindestlöhne und scharfe Kontrollen, dass ausländische Firmen die üblichen Löhne mit Dumpinglöhnen unterbieten und die ansässigen Arbeitneh­menden und Firmen verdrängen.

Ein weiteres zentrales Anliegen der Gewerkschaften ist die Lohngleichheit zwi­schen den Geschlechtern. Gemäss dem Bundesamt für Statistik erhielten Frauen 2022 nach wie vor 18% weniger Lohn als Männer. Fast 7 Prozentpunkte lassen sich nicht durch Unterschiede in der Ausbildung, in den Tätigkeiten und in den Branchen erklären. Frauen werden auch bei Einstellungen und Beförde­rungen systematisch übergangen. Direkte Lohndiskriminierung bekämpfen Ge­werkschaften über GAV-Mindestlöhne, spezifische Bestimmungen zur Lohn­gleichheit, Mitwirkung im Betrieb sowie politische Kampagnen und Sensibilisie­rungsarbeit. Gewerkschaften tragen auch dazu bei, dass mehrheitlich von Frauen ausgeführte Tätigkeiten aufgewertet werden.

Dass höhere Löhne mit einer höheren Arbeitslosigkeit erkauft würden, ist ein Vorwurf, den die Forscher*innen nicht belegen können. Im Gegenteil kann es sich für Arbeitgeber sogar lohnen, bei höheren Löhnen mehr zu produzieren und mehr Beschäftigte anzustellen.

Eine neue Sicht auf die Gewerkschaften

Neben den Löhnen sind die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmenden sehr wichtig. Deshalb forderten die Gewerkschaften schon früh den Achtstunden-Tag, senkten in der Schweiz zum Beispiel das Rentenalter auf dem Bau auf 60 Jahre oder setzten sich in der Pflege für mehr Personal ein. Generell sind die Arbeitszeiten kürzer, wenn Gewerkschaften mindestens teilweise darüber ver­handeln. In der Schweiz sind GAV bei Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit besonders wichtig, weil die gesetzlichen Vorgaben schwach sind.

Gewerkschaften versuchen zwar nicht bewusst, Produktivität, Innovation oder Investitionen und damit das Wirtschaftswachstum zu beeinflussen. Viele ihrer Aktivitäten, zum Beispiel der GAV-Mindestlohn, könnten sich trotzdem darauf auswirken. Standen Gewerkschaften in älteren Untersuchungen eher im Zu­sammenhang mit weniger Innovation, hat sich das Bild heute geändert: Ge­werkschaften scheinen Produktinnovationen eher zu verstärken. Wenn Pro­dukte neu erfunden oder weiterentwickelt werden, können Unternehmen mehr verkaufen, was den Lohnabhängigen nützt, weil wachsende Unterneh­men mehr Spielraum für höhere Löhne und neue Jobs haben.

Auch neben dem Arbeitsmarkt anerkennen Ökonom*innen die wichtige Bedeu­tung von Gewerkschaften für die Gesellschaft und sehen sie heute deutlich po­sitiver. Gewerkschaften ha­ben wichtige soziale Grundrechte erkämpft. Zudem ist ihr politischer Kampf für progressive Steuern und politische Stabilität von Bedeutung, und sie bekämp­fen dadurch auch erfolgreich die Armut.

Es ist zu hoffen, dass sich das neue Bild von Gewerkschaften aus der Wissen­schaft auch in der Politik in der Schweiz niederschlägt.

 

  • Joël Bühler und Daniel Lampart, Vom Wert der Gewerkschaften, Eine Metastu­die zum Einfluss von Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträgen auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Produktivität, Dossier Nr. 153, Publikationsreihe des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Dezember 2022