Daniel Lienhard – 4. September 2024 (Schweizer Musikzeitung)
Am 22. September 2024 werden die schweizerischen Stimmbürger*innen über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) abstimmen. Sie zielt darauf ab, die Finanzierung der 2. Säule zu stärken. Gewerkschaften, SP und Grüne ergriffen das Referendum dagegen.
Die Vorlage, über die im September abgestimmt wird, hat es in sich: Eine SP-Bundesrätin muss einmal mehr öffentlich Stellung gegen ihre eigene Partei beziehen, die grüne Ständerätin Maya Graf, Co-Präsidentin der Frauenorganisation «Alliance F», unterstützt an vorderster Front eine Reform, die von ihrer Partei abgelehnt wird, und Esther Friedli, SVP-Ständerätin und Mitglied des GastroSuisse-Vorstands, lehnt wie die Linke die Reform ab. Tatsache ist, dass die Vorlage einerseits sehr komplex ist, andererseits von Bundesrat und Parlament in Details so vage gehalten ist, dass die Auswirkungen auf die Rentner*innen nicht seriös prognostiziert werden können. Musiker*innen sollten die Reform ablehnen, da sie ihnen keine finanziellen Vorteile bringt, aber zu einer Reduktion der Rente führen wird.
Verwässerung der ursprünglichen Reformidee
Nach dem Scheitern des Projekts «Altersvorsorge 2020» in der Volksabstimmung 2017 sollten die beiden Säulen der Altersvorsorge getrennt reformiert werden. Die Reform der ersten Säule («AHV 21») wurde mittlerweile von der Stimmbevölkerung angenommen, sie besteht im Wesentlichen aus einer Erhöhung des Frauenrentenalters und einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Es kann davon ausgegangen werden, dass das knapp positive Resultat der Abstimmung durch eine angebliche finanzielle Schieflage der AHV beeinflusst wurde, die sich vor wenigen Wochen als krasser Rechenfehler des Bundesamtes für Sozialversicherungen herausstellte. Bei der Reform der zweiten Säule hat der Bundesrat zunächst einen Kompromissvorschlag der Sozialpartner übernommen: Die Finanzierung der beruflichen Vorsorge sollte durch eine Anpassung des Mindestumwandlungssatzes verbessert werden. Um das Rentenniveau zu erhalten und Menschen mit tiefem Einkommen und Teilzeitarbeit – das betrifft auch Musiker*innen – besser abzusichern, sollte im Gegenzug der Koordinationsabzug halbiert und ein solidarisch finanzierter Rentenzuschlag eingeführt werden. Die bürgerlichen Parteien wollten aber während des parlamentarischen Prozesses davon rasch nichts mehr wissen. Am Schluss wurde eine Reform verabschiedet, welche in wesentlichen Punkten vom Sozialpartnerkompromiss abweicht. Insbesondere die Rentenzuschläge, welche die Senkung des Mindestumwandlungssatzes und die seit Jahren sinkenden Pensionskassenrenten hätten kompensieren sollen, wurden massiv zusammengestrichen. Auch
von der solidarischen Finanzierung dieser Rentenzuschläge hat sich das Parlament verabschiedet. Übrig geblieben von der ursprünglichen Idee sind vor allem höhere Lohnabzüge und ein tieferer Mindestumwandlungssatz (6 statt 6,8%) – und damit tiefere Renten für viele Versicherte, der Umwandlungssatz bestimmt nämlich, wie viel Rente man für das angesparte Guthaben bekommt.
Die Renten sinken trotz guter Abschlüsse der Pensionskassen
Die Renten aus den Pensionskassen sinken laufend. Und das, obwohl die Beiträge noch nie so hoch waren wie jetzt und die Pensionskassen sehr gute Abschlüsse machen. Ihre Reserven und Sicherheitspuffer betragen über 110 Milliarden Franken. Mit der BVG-Reform sollen die Renten bis zu 3200 Franken pro Jahr gekürzt werden. In den letzten drei Jahren haben die Rentner*innen aufgrund der Teuerung über 5 Prozent an Kaufkraft verloren. Das entspricht bei einer mittleren Pensionskassenrente rund 100 Franken pro Monat. Gleichzeitig werden die obligatorischen Lohnabzüge erhöht. Die Beschäftigten müssten mit der Reform jährlich 2,1 Milliarden Franken mehr in die Pensionskassen einbezahlen. Die Lohnkosten steigen um bis zu 2400 Franken pro Jahr. Pierre-Yves Maillard, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), dem auch der SMV angehört, fasst die Problematik kurz und knapp zusammen: «Mehr bezahlen für weniger Rente – diese Mogelpackung müssen wir verhindern.» Heute zweigen Banken, Manager und Experten jährlich über 7 Milliarden von unseren Pensionskassenguthaben ab. Die Vermögensverwaltungskosten haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Sie betragen für jede und jeden von uns 1400 Franken pro Jahr. Auch Experten sehen ein riesiges Einsparpotenzial. Versicherungskonzerne verbuchten in den letzten 20 Jahren mit Billigung des Parlaments 9 Milliarden Gewinn, indem sie vor allem kleineren Unternehmen teure, unattraktive Pensionskassenlösungen anbieten.
Breite Gegnerschaft
Das Argument, das BVG müsste nach 20 Jahren endlich reformiert werden, ist falsch, da es in den Pensionskassen, anders als in der AHV, keinen Reformstau gibt. Strukturelle Verbesserungen für die Frauen, wie etwa die Einführung von Erziehungs-und Betreuungsgutschriften, fehlen bei der vorliegenden Reform übrigens vollständig. Gabriela Medici, die Rentenspezialistin des SGB, betont darum: «Diese Reform ist auch für die Frauen schlecht. Probleme werden nicht gelöst und vielen drohen tiefere Renten.» Unlängst haben sich auch acht Wirtschaftsverbände, nämlich GastroSuisse, der Westschweizer Arbeitgeberverband, die Branchenverbände der Bäcker-Confiseure, der Coiffeurgeschäfte, der Fitness- und Gesundheitszentren, der Tankstellenshops, CafetierSuisse sowie der Fleisch-Fachverband zu einer Allianz «Nein zur BVG-Scheinreform» zusammengeschlossen. Sie hält die Reform für missraten und empfiehlt deren Ablehnung an der Urne.