von Wilfried M. Bretscher
Wenn ich als Berufsmusiker mit 40 Jahren Konzerterfahrung in Europa, USA, Nordafrika und Asien der aussergewöhnlichen Leistungen des Bieler Orchesters gedenke, – einer Leistung, erbracht trotz des unerträglichen psycho-sozialen Druckes – erfassen mich Trauer und Abscheu angesichts einer erstaunlichen Bereitschaft meinungsbildender Gremien des multikulturellen Bieler Politparketts, scheinbar unbeschwert von verantwortungsvollem Rück- und Weitblick, die in härtester Arbeit – bei gekürztem Lohn – errichtete Oase der Kunst unserer Musikschaffenden vor den Augen langjähriger Konzertbesucher zu entwässern oder gar den Gedanken einer substantiellen Betriebsreduktion, bis hin zur Auflösung des Bestehenden, überhaupt in Betracht zu ziehen.
An dieser Stelle sei dem/der Nichtvertrauten des Musikbetriebs mitgeteilt, dass nach Zurücklegung eines Alters von +/-35 Jahren, kein freigestellter Musiker, keine freigestellte Musikerin eine Aussicht auf anderweitige äquivalente Einstellung hat.
Das europaweit geltende Anforderungsprofil an Gewinner der „Probespiele“ (so nennt sich die Eintrittsprüfung ins Berufsorchester) ist, nach einigen Jahren der Schwerarbeit im Beruf, begleitet von Imperativen wie Familie und der Belastung durch andere vitale Verpflichtungen, praktisch nicht mehr erfüllbar.
Erhärtet wird diese Front durch die Gegebenheiten eines bereitwillig geöffneten Schweizerischen Stellenmarktes für die Bewerber aller Kontinente.
Die zweite Variante eines erhofften Überlebensmodus‘, das Finden einer Unterrichtsstelle, scheitert, bis auf statistisch kaum relevante Ausnahmen, an der Zahl potentieller Schüler. Wo keine Schüler sind, sind keine Stellen.
Den Betroffenen bleiben als sichere Perspektiven das Arbeits- und das Sozialamt.
Den Steuerpflichtigen aber bleibt eine garantierte Aussicht auf die enorme Steigerung der Sozialbelastung plus die Kosten der fallweise zu engagierenden Musiker gemäss geltendem SMV-Tarif.
Die Bieler Finanzverantwortlichen und der Gemeinderat mögen diese Rechnung, fernab von allen Euphemismen, dem Stadtrat unterbreiten, bevor ein desaströser Entscheid gefällt wird.
Die Branchenunkudigen müssen zur Kenntnis nehmen:
Das Arbeiten unter dem Tarif impliziert aktive Gehilfenschaft bei der Zerstörung des weltweit schwer erkämpften Berufsstandes.
Der anstehende Vorschlag des Gemeinderates stellt einen Riesenschritt in die trostlose Richtung einer kulturellen Verarmung der Stadt Biel dar – ein horrend einseitiges Verständnis des in Biel so hochgehaltenen Begriffes des Multikulturellen.
Die Kleinstadt Biel hat das Privileg, MusikerInnen der hohen und höchsten Qualifikation verpflichtet zu haben. – Diese KünstlerInnen und ihr administrativer Kontext leisten, seit demnächst fünf Jahrzehnten, trotz permanenter Bedrohung durch kulturferne zyklonale Strömung, einen essentiellen und nicht ersetzlichen Beitrag zum Erhalt und zur Steigerung der Lebensqualität einer Gesamtheit des bespielten Einzugsgebietes.
Wir sind zu Dankbarkeit und Anerkennung gerufen. Wir sind sehr dringend gerufen, die Integrität dieses Orchesters politisch, und damit menschlich und künstlerisch, zu fördern und den kommenden Generationen zu erhalten.