Notizia

Beim Wort genommen

[Ci spiace, ma questo articolo è disponibile soltanto in Deutsch e Français.]

Aus der Abstimmung geht die SRG gestärkt hervor, ungeachtet des Medienwandels, der in vollem Gange ist. Die Gretchenfrage an die SRG lautet: Nun sag’, wie hast du’s mit der Kultur?

Kaum stand das vorläufige amtliche Endergebnis fest, trat die SRG-Spitze am 4. März in Bern vor die Medien und stellte Reformen vor, die es ab 2019 umzusetzen gelte. Die SRG werde zukünftig «das betonen, was sie ausmacht», resümierte der SRG-Generaldirektor. «Sie wird sich auf ihre Eigenheiten konzentrieren, auf ihre Raison d’être, comme on le dit joliment en français».

Was ist die Raison d’être, die Existenzberechtigung der SRG? Zentrale Aspekte kamen während der Präsentation der geplanten Reformen zur Sprache, allen voran der Informationsauftrag, aber auch die Produktion einheimischer Spielfilme, Dokumentationen und Serien, die Verbreitung mehrsprachiger Inhalte auf einer Online-Plattform oder auch der Verzicht auf «Unterbrecherwerbung» in abendlichen Filmübertragungen. Beim Sprecher des Generaldirektors acht Tage nach der Abstimmung nachgefragt, welche Rolle der Kulturauftrag in den bevorstehenden Reformen sonst noch spiele, lautet die Antwort: «Das Abbilden und Mitprägen der kulturellen Vielfalt in der Schweiz ist eine Kernaufgabe der SRG – dieses kulturelle Engagement wollen wir noch stärken, vor allem im Bereich Film und Serien. Ziel soll sein, die Schweiz aus immer neuen Blickwinkeln zu betrachten und neu zu erzählen und die kulturelle Vielfalt in unserem Land so mitzuprägen. Natürlich schliesst dies nicht aus, dass wir auch in unseren Kulturabteilungen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung in der Produktion suchen und konsequent umsetzen.»

Kommuniziert wird in geschliffenem Marketingdeutsch. Am Rande der Veranstaltung am Abstimmungssonntag in Bern liess sich der Generaldirektor vor laufender Kamera die Äusserung entlocken, dass Sparvorhaben bei IT-Kosten, Infrastruktur, Gebäudekosten und Verwaltungskosten vorgesehen wären, also dort, wo man dem «Angebot nicht direkt schaden» könne. Vordringliches Ziel werde es sein, dieses in seiner ganzen Vielfalt aufrechtzuerhalten. Erst in einem zweiten Schritt werde man prüfen, ob allenfalls auch Einsparungen beim Programmangebot erforderlich sind. Auf die Frage, ob auch Personal entlassen werde, heisst es: Einen «Social impact» könnten die Reformen wahrscheinlich schon bedeuten, es sei im Einzelnen jedoch zu früh für Prognosen.

Kommen wir auf den Schlüsselbegriff in den Verlautbarungen zurück: Eine «Effizienzsteigerung» steht ins Medienhaus. Über Einzelheiten, wie man die Effizienz zu steigern gedenkt, kann nur spekuliert werden, denn den Plan dafür will die SRG erst im Sommer «in detaillierter Form» präsentieren.

Besonders dort, wo öffentliche Gelder im Spiel sind, ist man angehalten, mit knappen Ressourcen rational umzugehen und das Vorhandene, ob Gebühreneinnahmen, Personal oder Infrastruktur, voll auszuschöpfen, oder besser gesagt, gezielt einzusetzen. Das eingangs zitierte Vorhaben der SRG, das «zu betonen, was sie ausmacht», verträgt sich mit einer Effizienzsteigerung dann gut, wenn mit Effizienz wirklich nur die Wege meint sind, auf denen vorab definierte Ziele erreicht werden sollen, und nicht, wie das immer wieder zu beobachten ist, die Ziele neu – meist weniger ambitioniert – gesetzt werden, um die Wegstrecke leichter zurücklegen zu können. Es ist das berühmte Verwechslungsspiel zwischen Effizienz und Effektivität, das manchmal so raffiniert gespielt wird, dass man es nicht sofort bemerkt – doch dann ist es meistens zu spät.

Ein (hoffentlich anschaulicher) Vergleich: Wer bei einem Rennen in die falsche Richtung paddelt, so ausgeklügelt die Paddeltechnik auch sein mag, gelangt nie ans Ziel, es sei denn, man setzt sich über die Regeln hinweg und peilt ein neues an. Wer hingegen in die richtige Richtung paddelt, wird das Ziel auch mit mässiger Technik erreichen. Nimmt man die SRG beim Wort, darf man davon ausgehen, dass sie die Mittel zur Zielerreichung optimiert und davon absieht, unter dem augenscheinlichen Optimierungsdruck, der ungeachtet der grandios deutlichen Ablehnung der No-Billag-Initiative besteht, in der Zielsetzung nachzulassen. Denn das würde bedeuten, dass mehr und mehr Menschen den Kulturauftrag verwässert sehen und der Rückhalt in der kulturaffinen Bevölkerung schwindet, was der SRG wiederum schlecht zu stehen kommen könnte. Man denke nur an die grosse Mobilisierung gerade im Kulturbereich, die in den vergangenen Monaten stattgefunden hat.

Das Problem mit dem Kulturauftrag ist doch das: Zwar ist sein Rahmen gesetzlich abgesteckt, doch können innerhalb dieses Rahmens die Prioritäten bis zu einem gewissen Grad unterschiedlich gewichtet werden: «Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei», heisst es in Artikel 93 der Bundesverfassung – in genau jenem Artikel also, den die No-Billag-Initianten mitsamt 28,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler auf phantasielose Weise zu verstümmeln gedachten. Als integraler Bestandteil des Programmauftrags wird der Kulturauftrag im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) konkretisiert. Die SRG, heisst es hier, trage bei «zur kulturellen Entfaltung und zur Stärkung der kulturellen Werte des Landes sowie zur Förderung der schweizerischen Kultur unter besonderer Berücksichtigung der Schweizer Literatur sowie des Schweizer Musik- und Filmschaffens, namentlich durch die Ausstrahlung von Schweizer Produktionen und eigenproduzierten Sendungen».

Wie wir seit Mitte Dezember vergangenen Jahres wissen, ist ein neues Gesetz über elektronische Medien in Arbeit. Viel ist davon bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Der Entwurf soll frühestens im Juni in die Vernehmlassung gehen – und das RTVG mittelfristig ablösen. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Zurück zum Kulturauftrag:

Aufgegriffen wird der bereits zitierte Wortlaut des RTVG in der Konzession, vor allem aber gibt es im Konzessionsrecht eine entscheidende Ergänzung: Die SRG erbringe ihre Leistungen durch eine „enge Zusammenarbeit mit der schweizerischen Musikbranche“. (Worin diese Zusammenarbeit besteht, wird unter anderem in der Charta der Schweizer Musik definiert.) In den vergangenen Jahren ist ein neuer Konzessionsentwurf erarbeitet worden, der kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde und sich noch bis zum 12. April in der Vernehmlassung befindet. «Erhöht und präzisiert» sollen damit die Anforderungen an den audiovisuellen Service Public, heisst es im Begleitschreiben. Im Entwurf wird ferner erwähnt, was die SRG-Spitze am 4. März in Bern als Reform anpries, nämlich die Vorschrift, dass die SRG zukünftig 50 Prozent der Gebührengelder für die Information aufwenden soll. Was den Artikel bezüglich der kulturellen Entfaltung und Stärkung der kulturellen Werte der Schweiz anbelangt, so stimmt seine Formulierung im Wesentlichen mit dem RTVG beziehungsweise der bisherigen Konzession überein. Die SRG soll also nicht allein kulturelle Werke verbreiten oder über sie berichten, sondern hat vielmehr selbst Kultur für ihre Angebote zu produzieren und das unabhängige Kulturschaffen mit ihren Aufträgen zur unterstützen. Was aber ist neu? Der Konzessionsentwurf stellt klar, dass der Kulturbegriff umfassend zu verstehen ist: Soziokultur versus Hochkultur, die alte Debatte… In der Realität bedeutet das alles nichts Neues. Bemerkenswert hingegen ist ein einziger Satz, den man zu überlesen geneigt ist, obgleich er besondere Beachtung verdient: «Die SRG stellt für die verlangten kulturellen Leistungen angemessene finanzielle Mittel zur Verfügung.» Was verbirgt sich dahinter? Es ist der im Juni 2016 veröffentlichte Bundesratsbericht, der Stossrichtungen für die zukünftige Ausrichtung des Service Public der SRG gibt und dabei auch den Kulturauftrag unterstreicht: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der SRG bei der Kulturveranstaltung, -vermittlung und -förderung eine zentrale Rolle zukommt. Der weitaus grösste Teil ihrer entsprechenden Leistungen wird in der Schweiz sonst von keinem Medienhaus erbracht. Beispielhaft zeigt sich dies bei der Förderung der Schweizer Musik sowie der Filmförderung. Für die Schweizer Kulturschaffenden wie auch für das Publikum ist dies nicht zuletzt aufgrund der kulturellen Identität und Vielfalt zentral.» Dem kann man uneingeschränkt zustimmen!

Nun liegt aber die Problematik des Kulturauftrags weniger bei dessen Festschreibung als vielmehr bei dessen Kontrolle. (Das hat auch damit zu tun, dass, wie oben skizziert, nur die Eckwerte des Kulturauftrags gesetzlich festgeschrieben werden, nicht aber deren Inhalte im Einzelnen, wie etwa die Zusammenarbeitsverträge mit Orchestern.) Wir sollten also wachen Auges genau hinsehen und hinhören, anstatt einfach zu hoffen, dass der Kulturauftrag wie ein Fels in der Brandung dem Medienwandel standhält. Genau daher ist das Mantra vom Rotstift, der immer als Erstes bei der Kultur angesetzt wird, zu beenden, denn es benebelt den Geist und verbaut den Blick auf die Realität, die bekanntlich komplex ist. Und was die SRG selbst betrifft, so sollte sie das kulturelle Angebot – und dazu gehört ungeachtet des umfassenden Verständnisses des Kulturbegriffs nach wie vor auch die sogenannte Hochkultur – ausbauen, mindestens aber in bisherigem Masse aufrechterhalten. Denn ohne sie verlöre der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Legitimation – und damit auch seinen Rückhalt bei jenen, die ihm treu verbunden sind.

Johannes Knapp