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Freischaffend und arbeitslos?

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Die neue Gesetzgebung zum Inländervorrang trifft Musikschaffende zwar nicht. Doch die in diesem Zusammenhang veröffentlichte Arbeitslosenquote in der Musikbranche hat aufhorchen lassen.

Arbeitgeber in Berufen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit müssen offene Stellen seit Juli dem Arbeitsamt melden. Das ist das Resultat der vierjährigen Debatte darüber, wie das Abstimmungsresultat der «Masseneinwanderungsinitiative» umzusetzen wäre. Statt der zunächst befürchteten Höchstzahlen und Kontingente nun also der sogenannte «Inländervorrang light». Als «Inländer» gelten sämtliche in der Schweiz wohnhaften Arbeitnehmenden, ungeachtet ihrer Staatbürgerschaft. Für die registrierten Stellenlosen unter ihnen, die einer Branche mit einer Arbeitslosenquote von über acht Prozent angehören, erhofft man sich damit unter anderem eine bevorzugte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. PR-Fachpersonen, Kuriere, Betonbauer, Marketingfachleute, Portiers, landwirtschaftliche Gehilfen und ähnliche Berufe zählen dazu, aber auch Schauspieler.

Der Unmut letzterer liess nicht lange auf sich warten, und das aus verschiedenen Gründen. Dass man freie Stellen erstmal beim RAV melden muss, sie erst fünf Tage später öffentlich ausschreiben darf und die Sacharbeiter wohl überwiegend in Unkenntnis dieses speziellen Berufsbildes Vorschläge machen, welche arbeitslosen Schauspieler die freie Rolle übernehmen könnten, schränke die künstlerische Freiheit ein. Ferner wurden Zweifel am konkreten Nutzen dieser neuen Regelung laut. Die Befürchtung unnötigen bürokratischen Aufwands ist offensichtlich gross. Inwieweit man der Stellenmeldepflicht aus gewerkschaftlicher Sicht auch Positives abgewinnen kann, etwa zur Eindämmung von Lohndumping, wird sich zeigen, wenn Erfahrungswerte vorliegen und sich die Wogen geglättet haben. Doch dafür ist es noch zu früh. Filmproduzenten forderten in einem offenen Brief ans Staatssekretariat für Wirtschaft gar, die Stellenmeldepflicht für Filmproduktionen aufzuheben. Kulturminister Berset reagierte auf den Protest mit den Worten, die Kulturschaffenden hätten im Zusammenhang mit der Abstimmung vom 9. Februar 2014 zu wenig mobilisiert, weshalb man nun mit den Konsequenzen leben müsse. Wer weiss: Einzelfälle, auf die das zutrifft, mag es möglicherweise gegeben haben. Dass aber von prominenter Seite eine solch allgemeine Aussage daraus abgeleitet wurde, konnte von den Kulturschaffenden nur als Affront aufgefasst werden.

Die Musik ist auf der Liste der meldepflichtigen Berufsarten nicht zu finden. Ebenso wenig die Literatur, die bildenden Künste, der Tanz und andere von den nationalen Berufsverbänden repräsentierte Sparten. Dass allerdings die Arbeitslosigkeit in der Musikbranche weniger als ein Prozent betragen soll, lässt aufhorchen. Ob das niedrige Quorum die Realität abbildet, sei dahingestellt. (Nachforschungen sind im Gange.) Wir nehmen es an dieser Stelle zum Anlass, auf die besonderen Regelungen für Kulturschaffenden in Sachen Arbeitslosigkeit hinzuweisen. Es liegt nämlich die Vermutung nahe, dass diese immer noch wenig bekannt sind, nicht zuletzt in den Arbeitsämtern selbst.

Anspruch: ja oder nein?

Hauptberuflich Selbständige unterstehen der Arbeitslosenversicherung bekanntlich nicht. Auch freiwillig können sie sich nicht versichern lassen. Festangestellte jedweder Branche hingegen, die ihre Stelle verloren haben oder teilweise arbeitslos sind, in der Schweiz wohnen, und in den letzten zwei Jahren während mindestens zwölf Monaten Beiträge in die Arbeitslosenkasse gezahlt haben (Abrechnung erfolgt obligatorisch durch Arbeitgeber zusammen mit den AHV-Beiträgen), sind prinzipiell anspruchsberechtigt. Gleiches gilt, wenn man neu in den Arbeitsmarkt eintritt oder von der Beitragszeit befreit ist, beispielsweise aufgrund einer Weiterbildung. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Vermittlungsfähigkeit, auf die hier aus Platzgründen nicht detaillierter eingegangen werden kann. Zusammengefasst lässt sich jedoch sagen, dass als vermittlungsfähig gilt, wer bereit, in der Lage, und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. So weit, so gut.

Dass jedoch nur Arbeitslosengeld erhält, wer sich zuvor in einem Dauerarbeitsverhältnis befand, ist ein immer noch recht verbreiteter Irrtum. Freischaffende befinden sich für die Dauer eines zeitlichen Projekts, und sei es noch so kurz, nicht selten in einem Arbeitsverhältnis. Wann ein solches rechtlich besteht, hängt von mehreren Kriterien ab, unter anderem von der Weisungsgebundenheit bezüglich der vertraglich definierten Tätigkeit, der Bindung an feste Präsenzzeiten (z.B. Dienste oder Besprechungen), der Eingliederung in eine institutionalisierte Struktur (z.B. Ensemble) oder auch davon, ob ein Unterordnungsverhältnis vorliegt. Ob die eigene Erwerbstätigkeit nun als selbständig oder unselbständig durchgeht, muss im Einzelfall beurteilt werden. Oftmals liegen Merkmale beider Erwerbsarten vor. Das macht die ganze Sache komplex und für Nicht-Sozialrechtler schwer vorhersehbar. Im Zweifelsfall entscheiden die Behörden (Ausgleichskasse, Steueramt u.a.).

Halten wir zwei Punkte fest: «Freischaffend» ist weder pauschal mit «selbständig» noch mit «unselbständig» gleichzusetzen. Freischaffende, die hauptberuflich selbständig sind, also unter eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko in unabhängiger Stellung arbeiten, können keine Arbeitslosenentschädigung beanspruchen.
Anders sieht die Situation für Freischaffende aus, die unselbständigen Tätigkeiten nachgehen. Nehmen wir einmal folgenden Fall an: Eine Geigerin wirkt in diversen Ensembles mit und wird von diesen jeweils befristet angestellt – ganz gleich, ob auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags oder mündlicher Vereinbarungen, wobei ersteres natürlich vorzuziehen ist! Zudem unterrichtet sie zeitweilig in befristeter Anstellung einen Tag pro Woche an einer Musikschule. Aus welchen Gründen auch immer, klafft in naher Zukunft eine grosse Lücke zwischen zwei Kurzengagements. Diese reichen selbst mit dem Lehrpensum nicht aus, um über die Runden zu kommen. Sie erwägt, sich arbeitslos zu melden, zweifelt aber daran, dass sie Anspruch auf Entschädigung hat, denn sie hat einmal gehört, dass man innerhalb der letzten zwei Jahre zwölf Monate vorweisen können muss, während derer man Beiträge an die Arbeitslosenversicherung gezahlt hat. Das ist gewiss nicht falsch. Für sie als Musikerin gilt jedoch: Für jedes Engagement von einer Dauer von bis zu 60 Kalendertagen ist die doppelte Anzahl der geleisteten Arbeitstage anzurechnen. Und was Engagements betrifft, die länger als 60 Kalendertage dauern, werden pauschal 60 Tage zur Anzahl geleisteter Arbeitstage addiert. Aufgrund dieser Regelung, die vor einigen Jahren im Arbeitslosengesetz (Art. 8 und 12a AVIV) verankert wurde, ist es in «Berufen mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen» möglich, die erforderlichen Beitragszeiten auf dem Papier leichter zu erfüllen.

Wie die Berechnung konkret erfolgt, was Kalendertage von Arbeitstagen rechnerisch unterscheidet und wie der durchschnittlich versicherte Verdienst berechnet wird, muss im Einzelfall angeschaut werden. Auskunft geben können hier auch die zuständigen Ämter. Wir möchten unsere Mitglieder und Interessierte dazu ermuntern, nicht davor zurückzuscheuen, uns von ihren Erfahrungen zu berichten. Wir werden selbstverständlich vertraulich damit umgehen. Uns ist bewusst, dass Jobverlust oder eine prekäre Erwerbslage in unserer Leistungsgesellschaft mit ihrem Arbeitsproduktivitätsfetisch nicht selten mit Scham verbunden ist, zumal man statistisch plötzlich zu einer gesellschaftlichen Randgruppe gezählt wird. Ebenso ernüchternd wie tröstlich ist aber, dass es jeden treffen kann.

Johannes Knapp