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Liebe Kolleginnen und Kollegen

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Das neue Jahr bringt uns bereits in weniger als zwei Monaten eine der potenziell folgenschwersten Volksabstimmungen für die Schweizer Kultur- und Musikschaffenden: die No-Billag-Initiative.

Trotz der vermeintlich klaren Bezeichnung geht es dabei keineswegs nur um die Abschaffung der Empfangsgebühren für die Radio- und TV-Programme des service public in der Schweiz (sowie 35 privater Radio- und TV-Stationen, die auch vom Gebührensplitting profitieren), sondern um deren Tod oder Überleben.

Und indirekt auch um das Überleben der Schweizer Musikszene, wie wir sie heute kennen, denn nur die SRG zeichnet in allen vier Sprachregionen Orchester- und Kammermusikkonzerte auf, überträgt solche live, programmiert überhaupt klassische und zeitgenössische Musik und bildet die Szene umfassend redaktionell ab. Dies gilt sinngemäss auch für alle anderen Musiksparten.

Ohne diese Präsenz in Funk und Fernsehen würde die Bevölkerung die Schweizer Orchester und Ensembles und die klassische Musikszene insgesamt bedeutend weniger wahrnehmen. Was in den Medien nicht vorkommt, gerät schnell in Vergessenheit.

Eine eingeschränkte öffentliche Wahrnehmung könnte durchaus auch zu schwindendem Verständnis für die öffentliche Finanzierung der Musikszene im Allgemeinen und der Klangkörper im Speziellen führen. Darunter würden sowohl Orchestermusikerinnen als auch Zuzüger und Freischaffende in kleineren Ensembles aller Sparten leiden.

Bei Annahme der Initiative fallen spätestens per 1.1.2019 alle Einnahmen aus den Empfangsgebühren weg, die 75% des Budgets der SRG ausmachen. Die Initianten meinen, dass die SRG sich halt „gesundschrumpfen“ und weitere Werbemittel akquirieren müsse. Wahrscheinlich ist hingegen, dass ein geschrumpftes Angebot, bei dem die Prioritäten wohl kaum im Bereich der Kultur gesetzt würden, auch für die Werbewirtschaft weniger interessant sein würde und dadurch die verbleibenden 25% noch weiter einbrechen würden. Deshalb geht die SRG davon aus, dass sie ihren Betrieb per Ende 2018 einstellen müsste. Ähnlich sehen die Aussichten für die meisten privaten Sender aus.

Die Initiative verlangt aber nicht etwa „nur“ das Verbot von durch Empfangsgebühren oder staatliche Mittel finanzierten Radio- oder TV-Sendern, sondern auch die Streichung der folgenden Verfassungsbestimmung: «Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.» (BV Art. 93, Abs. 2)

Somit wären sachgerechte Darstellung und angemessene Berücksichtigung vielfältiger Ansichten keine Kriterien für die Berichterstattung mehr. Ebenso wären die verbleibenden oder neuen privaten Stationen nicht mehr verpflichtet, zur Bildung, zur kulturellen Entfaltung und zur freien Meinungsbildung der Bevölkerung beizutragen. Weiter müssten diese die kulturelle und sprachliche Vielfalt, die eigentliche Essenz der Schweizer Willensdemokratie, nicht mehr berücksichtigen.

Diesen unerhörten Angriff auf Kultur und Demokratie der Schweiz müssen wir unbedingt stoppen!

Erschreckenderweise sprechen die bisherigen Umfragen für eine Annahme der Initiative. Vielfach ist zu hören und zu lesen, dass Bürgerinnen und Bürger aus Unzufriedenheit mit einzelnen Programmen der SRG einen Denkzettel verpassen und deshalb Ja stimmen, sie aber natürlich nicht abschaffen wollten. Jedoch fordert der Initiativtext eben ein Verbot des öffentlichen Rundfunks und nicht eine Programmdiskussion. Oder dass es nach einem Ja schon irgendwie weiter gehen würde und der Bund einspringen könne. Dies ist gemäss Initiativtext nicht möglich. Oder dass der Markt es schon richten würde. Der Werbemarkt jedenfalls verlagert sich schon seit längerem weg von Presse und Rundfunk in den online-Bereich.

Solche Überlegungen könnten fatale Folgen haben: Die Ernüchterung nach einer allfälligen Annahme der Initiative, wenn die SRG am 5. März den Beginn ihrer Liquidation bekannt geben könnte, weil sie dazu gezwungen wäre, um die Saläre ihrer 6000 Mitarbeiterinnen begleichen zu können, wäre wohl noch grösser als nach der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative 2014. Und erinnern wir uns an die allseits geliebte Swissair, die nach dem Grounding trotz Bundesintervention schlussendlich ins Ausland verscherbelt wurde. Es hat leider in diesem Fall keinen Sinn, im Nachhinein auf Wunder zu hoffen. Um ein Debakel zu vermeiden, müssen die Weichen vor der Abstimmung gestellt werden.

Daher, liebe Musikerinnen, liebe Musiker, ist es von grösster Wichtigkeit, in jedem Gespräch mit Kolleginnen, Nachbarn, Freundinnen und Fremden, in Leserbriefen, Online-Kommentaren und sozialen Medien auf die vielfältigen Gefahren dieser Volksinitiative hinzuweisen und alle Stimmberechtigten dazu aufzufordern, an der Volksabstimmung vom 4. März teilzunehmen und ein NEIN in die Urne zu legen.

Mit besten Wünschen für das Neue Jahr!

Beat Santschi, Zentralpräsident

PS: Bitte nicht vergessen, den Aufruf der Kulturschaffenden – NEIN zu No Billag zu unterzeichnen!