Mehr als unter einem eventuellen Energiemangel oder einer drastischen Beschränkung des Stromkonsums leidet die Kulturszene vor allem unter den finanziellen Folgen der Preissteigerungen.
Aufgrund eines tiefgreifenden Ungleichgewichts zwischen Energieangebot und -nachfrage steckt Europa derzeit in der schlimmsten Energiekrise seit den Ölschocks von 1973 und 1979. Schon seit dem Sommer 2021 ist der Gaspreis wegen der Reduktion der russischen Exporte bedeutend gestiegen, noch bevor sie seit diesem Frühling als Mittel zur Erpressung eingesetzt wird, um die westlichen Sanktionen rückgängig zu machen und zu versuchen, die Unterstützung der Ukraine durch die Europäer zu untergraben. Nun bestimmt aber auf den Märkten der Gaspreis zu einem guten Teil denjenigen der Elektrizität. Unglücklicherweise haben andere Faktoren die steigende Tendenz unterstützt: Mehr als die Hälfte der französischen Atomreaktoren war aufgrund verschiedener Arbeiten Ende dieses Sommers abgeschaltet (Programm für eine mögliche Laufzeitverlängerung der ältesten Reaktoren, zehnjährliche Wartungsarbeiten, Reparaturen aufgrund von Korrosionsproblemen in einem Kühlsystem), während die Trockenheit den Wasserstand der Flussläufe derart absinken liess, dass die Produktion von Strom aus Wasserkraft, das Funktionieren der thermischen Kraftwerke und der Transport von Kohle auf dem Wasserweg gefährdet war.
In der Schweiz müssen sich Unternehmen oder Kollektive, die jährlich mehr als 100’000 kWh verbrauchen und sich für eine Beschaffung auf dem freien Markt entschieden haben und dadurch in den letzten Jahren von einem Vorzugspreis profitiert haben, auf eine drastische Preiserhöhung gefasst machen (1600% zum Beispiel für die Waadtländer Gemeinde Saint-Prex!). Gewisse Kulturinstitutionen, die nicht von der öffentlichen Hand finanziert werden, riskieren, in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Die Situation für die Kleinverbraucher*innen in der Schweiz könnte noch schlimmer sein, wenn der Markt total liberalisiert worden wäre, was glücklicherweise in der eidgenössischen Volksabstimmung vom 22. September 2002 abgelehnt wurde, von den rechten Parteien aber regelmässig gefordert wird. Reto Wyss vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund präzisiert: «Erstens sind die Kleinverbraucher*innen dank der bis heute erfolgreich verhinderten Vollliberalisierung des Strommarkts vor sprunghaften Preissteigerungen an den internationalen Energiemärkten geschützt. Und zweitens darf in dieser Grundversorgung der in der Schweiz produzierte erneuerbare Strom (das sind immerhin zwei Drittel) höchstens zu Produktionskosten verrechnet werden.» Allerdings – da die Schweiz bezüglich der Stromproduktion nicht autark ist – müssen die Anbieter vor allem im Winter den Strom, den sie nicht selbst produzieren, zu deregulierten Sätzen auf dem freien Markt beschaffen, wo die Erträge der Produzenten in die Höhe schiessen, zum Nachteil der Endverbraucher*innen (Bevölkerung, Unternehmen und Kollektive). Die Rechnung droht ausserdem durch die Tatsache belastet zu werden, dass die Eidgenossenschaft nicht beabsichtigt, die Kosten für die Wasserkraftreserve und den zusätzlichen Aufwand der Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid zu übernehmen, was bedeuten würde, dass die Endverbraucher*innen Summen von mehreren Hundert Millionen Franken selbst bezahlen müssten. Die Lösung, um aus dieser problematischen Situation herauszufinden, besteht darin, dass die öffentliche Hand den Ausbau der inländischen erneuerbaren Strom-produktion vorantreibt.
Konsequenzen für die Kultur
Der kulturelle Sektor, der durch die Auswirkungen der Corona-Krise bereits hart getroffen wurde, muss sich jetzt auf Preissteigerungen für Heizung und Elektrizität gefasst machen, die einen grossen Einfluss auf die Betriebskosten haben können, gerade wenn die Aktivitäten in grossen, energiefressenden Sälen stattfinden. In Deutschland, einem Land, das durch seine Abhängigkeit vom russischen Gas von der Krise schwer getroffen wird, mussten die Mannheimer Philharmoniker (ein frei finanziertes Orchester) die radikale Entscheidung treffen, ihre Saison zu verkürzen und ihr erstes Konzert erst Ende Dezember stattfinden zu las-sen. Es ist nicht auszuschliessen, dass andere Ensembles ebenfalls gezwungen sein werden, ihren Spielplan auszudünnen, vor allem, wenn die Saalmieten zu sehr ansteigen. Andere könnten ihre Kosten auf unterschiedliche Weise senken, vor allem, wenn sie den Veranstaltungsort selbst besitzen. Im Falle einer Temperaturreduktion in einem Probelokal oder einem Konzertsaal (ein bis zwei Grade weniger erlauben bereits eine Einsparung von ungefähr 7 bis 15%) muss allerdings das Wohlbefinden der Musiker*innen zentral bleiben, da davon auch die Qualität der Aufführungen abhängt. Zu den kreativen Vorschlägen gehört etwa, die Abendkonzerte früher beginnen zu lassen, um die kälteren Nachtstunden zu vermeiden, was sich zum Beispiel die Philharmonie de Paris vorstellen könnte. In einem Gebäude nach einer Vorstellung die Temperatur zu senken oder die Klimaanlage zu drosseln, sollte an sich die Norm werden. Auf längere Frist wird es unumgänglich sein, die nicht renovierten Gebäude besser zu isolieren, da zu oft sehr viel Energie verschwendet wird, oder gegebenenfalls das Heizsystem zu ersetzen. Solange die Helligkeit auf der Bühne nicht tangiert wird, könnte man die Saalbeleuchtung reduzieren (nur jeder zweite Leuchter oder die Hälfte der Lampen in der Pause sowie vor und nach den Konzerten eingeschaltet, noch gedämpfteres Licht oder gar keine Beleuchtung während der Aufführungen), was kaum jemanden stören würde, ausser vielleicht diejenigen, die während des Konzerts das Programmheft studieren möchten. Die immer weiter verbreitete Verwendung von Leuchtdioden (oder LED-Glühbirnen) bringt bereits eine substanzielle Energieeinsparung. Diese Sparmassnahmen tragen ebenfalls zur unumgänglichen Energiewende bei, die die Erderwärmung bremsen soll.
Wenn sich die Situation nicht entspannen würde, der Winter relativ kalt wäre und sich die freiwillige Reduktion des Verbrauchs als ungenügend herausstellen sollte, wären Abschaltungen und Einschränkungen zu befürchten, die möglicherweise Proben, Konzerte und andere Aufführungen unterbrechen oder es verunmöglichen würden, Kulturbetriebe an gewissen Abenden zu öffnen. Noch sind wir nicht so weit, insbesondere dank der schweizerischen Pumpspeicherkraftwerke, die eine gute Netzstabilität garantieren. Aber man muss feststellen, dass, wenn die Energiewende in Europa und in der Schweiz im speziellen schneller verwirklicht worden wäre, die Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen und ihrer mächtigen Lobby geringer gewesen wäre und die Preise nicht so in die Höhe geschossen wären. Wie dem auch sei: Die Ölschocks vor einem halben Jahrhundert haben ebenso wenig ein dauerhaftes und entschiedenes Umweltbewusstsein bewirkt wie die seit Jahrzehnten wiederholten Appelle der Wissenschaftler, den CO2-Fussabdruck zu reduzieren.