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Die Tradition bewahren und weiterentwickeln

Daniel Lienhard, 24.11.2021 [Schweizer Musikzeitung]

Der renovierte grosse Tonhalle-Saal                               (Foto Georg Aerni/Tonhalle-Orchester)

Nach mehrjährigem Umbau ist die Zürcher Tonhalle wiedereröffnet worden. Das prächtig renovierte Gebäude soll ein Ort der Begegnung sein, in dem die Bewahrung der Tradition als auch die Innovation ihren Platz finden.

Vier Jahre spielte das Tonhalle-Orchester in der Tonhalle Maag, einem relativ nüchternen Saal in Züri West, der – als Provisorium errichtet – sich dank seiner guten Akustik, der perfekten Verkehrsanbindung und der Lage in einem hippen Quartier sofort grosser Beliebtheit erfreute. Manche sind fassungslos, dass dieser Saal, den Simon Rattle „am liebsten mit einem Lastwagen nach London mitgenommen“ hätte, wieder aufgegeben wird.

Metamorphosen

Nun aber ist das Orchester zurück in seinem altehrwürdigen Saal von 1895, der allerdings einige Metamorphosen durchmachte. Bei seiner Eröffnung war sein Äusseres noch dem Pariser Trocadéro nachempfunden und mit spektakulären Türmen geschmückt. Entworfen hatte die Tonhalle das bekannte Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer, das nicht nur die heutige Zürcher Oper auf der anderen Seeseite gebaut hatte, sondern auch Theater und Konzertsäle in ganz Europa. Der architektonische Geschmack änderte sich signifikant zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und 1939 wurden die beiden Tonhalle-Säle in einen modernen Kongresshaus-Komplex der Schweizer Architekten Haefeli, Moser und Steiger integriert, während der Rest abgebrochen wurde. Ein weiterer Modernisierungsschritt war der nicht restlos geglückte Umbau von 1985, der den Gebäudekomplex im Stil der Zeit modernisierte. Da die Zürcher Stimmbevölkerung 2008 den Neubau des Kongresszentrums ablehnte, entschloss man sich in der Folge, sowohl das Kongresshaus als auch die Tonhalle-Säle in Anlehnung an den jeweiligen Originalzustand zu renovieren.

Wiederhergestellte Pracht

Der grosse Konzertsaal verfügt nun nicht nur über aufgefrischte Foyers, sondern auch über eine grosse Terrasse mit Seeblick. Im Innern fällt neben der wiederhergestellten historistischen Pracht auf, dass die Bühne etwas tiefer gelegt und vergrössert wurde, ausserdem wurde ein neues, helles Bühnenlicht eingebaut und – last but not least – eine neue Orgel der Firma Kuhn in Dienst genommen. Hinter der Bühne konnten einige Verbesserungen vorgenommen werden. Vom Orchester werden die zusätzlichen näher bei der Bühne gelegenen Garderoben und ein Aufenthaltsraum mit Tageslicht sehr geschätzt.
Die Zürcher Tonhalle ist seit jeher für ihre gute Akustik bekannt. Wie es den Anschein macht, ist sie nach der Renovation nicht schlechter, sondern womöglich noch besser geworden. Der Chefdirigent Paavo Järvi eröffnete die Saison am 15. September mit Mahlers 3. Sinfonie, seinem Lieblingswerk unter den Mahler-Sinfonien, fast zeitgleich mit dem Tonhalle-Saal entstanden und ausserdem die erste Mahler-Sinfonie, die das Orchester je spielte. Auch im weiteren Verlauf der Saison sollen Werke erklingen, die zur Zeit der architektonischen Veränderungen komponiert wurden, so etwa das 1939 geschriebene Violinkonzert von Samuel Barber.

Ein „Kunsttempel“ mit offenen Türen

Der Intendantin des Tonhalle-Orchesters, Ilona Schmiel, ist es ein Anliegen, das in der Tonhalle Maag neugewonnene Publikum auch an den See mitzunehmen, und zwar durch „Programme und Inhalte, die in der Tradition wurzeln, und sich mit der Geschichte auseinandersetzen, aber immer in das 21. Jahrhundert ausstrahlen und eine aktuelle Bedeutung haben.“ Die Tonhalle müsse ein „Kunsttempel“ mit offenen Türen für alle sein.

Buchhinweis: Tonhalle Zürich 1895–2021. Herausgegeben von Inga Mai Groote, Laurenz Lütteken und Ilona Schmiel. Bärenreiter-Verlag, Kassel 2021. 191 S., Fr. 39.90.

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