Ginge es nach dem Plänen der Regierung, soll am Luzerner Sinfonieorchester ab 2018 gespart werden. Die Folgen wären verheerend.
Johannes Knapp – Im September dieses Jahres wurde es vom Luzerner Regierungsrat verabschiedet, das «Sparpaket». Der Begriff hat seine euphemistische Note längst eingebüsst. Auch der offizielle Titel des 160-seitigen Dossiers, «Konsolidierungsprogramm 2017 (KP17)», kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Paket eine gehörige Dosis Sprengstoff enthält. Hinter KP17 steht die Absicht, den Finanzhaushalt des Kantons Luzern mittelfristig ins Lot zu bringen. Für die kommenden drei Jahre ist ein Fehlbetrag von rund 520 Millionen Franken prognostiziert. Die vorgeschlagenen Sparmassnahmen zielen auf viele Bereiche ab. Auch vor Bildung und Kultur machen sie nicht halt. Musikschulen, Hochschulen und grosse Kulturbetriebe, darunter besonders das Luzerner Sinfonieorchester (LSO), wären von ihnen betroffen.
KP17 mag vordergründig die Absicht erkennen lassen, eine Vielzahl von Anforderungen zu einem pragmatischen Heile-Welt-Kompromiss zu bündeln. Doch über diesem hängt das Damoklesschwert, getreu dem Motto: Wehe dem, der es wagt, das vom Regierungsrat geschnürte Paket wieder aufzuschnüren! Als nach der Veröffentlichung des Dossiers am 6. September 2016 der Widerstand in der Bevölkerung wuchs, warnte der parteilose, FDP-nahe Kantonsfinanzdirektor vor allem Gemeinden, Lehrpersonal und Kulturschaffende davor, nur ihre eigenen Interessen zu vertreten, ohne den angeschlagenen Gesamthaushalt im Blick zu haben. Die Warnung verhallte verständlicherweise im Winde. Zum Einen geht es nicht primär um eigene Interessen, zum Anderen ist das Politsystem für Widerstände geradezu prädestiniert. Mitte Oktober drohten die bürgerlich dominierten Kommunen mit einem Referendum für den Fall, dass der Kantonsrat den Gemeinden die in KP17 vorgesehenen Mehrbelastungen zumuten sollte. Tatsächlich kam das Parlament den Gemeinden in seiner Sitzung vom 7. November mehrheitlich entgegen und nahm 70 Millionen Franken aus dem Sparpaket heraus.
Parteipolitisches Kräftemessen
Die Musikschulen waren ebenfalls in der Novembersession des Kantonsrates dran. Nach eingehender Debatte war die Halbierung des kantonalen Pro-Kopf-Beitrags an die kommunalen Musikschulen beschlossene Sache. 84 Parlamentarier waren dafür und 29 dagegen. Geschlossen abgelehnt wurde die Massnahme ausschliesslich von SP und Grünen. Zudem stimmten 8 von 29 CVP-Abgeordneten gegen die Massnahme. Sie soll den Kantonshaushalt in den kommenden drei Jahren um 3,6 Millionen Franken entlasten. Die Linken hatten vor der Sparübung dahingehend gewarnt, dass der allgemeine Zugang zum Musikunterricht durch höhere Unterrichtsgebühren erschwert würde. Die tonangebende Argumentation aus den Reihen der Liberalen lautete, dass sich Musikunterricht leisten könne, wem er wirklich wichtig sei. Dahinter steht das allseits bekannte Muster: Die Bürgerlichen begrüssen die Sparübungen prinzipiell, während die Linken keine Leistungen reduzieren wollen, sondern die Tiefsteuerpolitik anprangern. Die CVP selbst musste sogar zugeben, dass die Tiefsteuerstrategie ein Verlustgeschäft sei. Die SVP wiederum kämpft vehement gegen höhe Steuern. Wer auch immer in diesem Parteienstreit recht haben mag: Das LSO ist an der finanziellen Schieflage des Kantonshaushalts definitiv nicht schuld.
Mehr Eigenwirtschaftlichkeit geht nicht
Im schweizweiten Vergleich ist der Grad an Eigenwirtschaftlichkeit des LSO rekordverdächtig, was einem ausgeklügelten Zusammenwirken von öffentlichem und privatem Sektor (Public-private-Partnership) zu verdanken ist. In Zahlen drückt sich das so aus: 3,5 Millionen nimmt das LSO im Kartenverkauf ein, nochmals 3,5 Millionen kommen von privater Seite. Für seine zweite Identität als Opernorchester des Luzerner Theaters erhält das LSO 4 Millionen Abgeltung. Der Anteil öffentlicher Gelder an das LSO als Sinfonie- und Residenzorchester des KKL beläuft sich auf 3 Millionen Franken. Betriebswirtschaftlich gesprochen: Mit jedem direkt eingezahlten Steuerfranken erzielt das LSO eine Wertschöpfung von über 330 Prozent, da mit 3 Millionen Grundfinanzierung ein Produkt von 10 Millionen angeboten wird (Dienste am Theater ausgenommen). Diese Wertgrösse ist Indikator eines ausgesprochen ökonomischen Handelns. An den dazu benötigten 3 Millionen Subventionen, dem Fundament gewissermassen, setzte der Regierungsrat den Rotstift an, wenn auch nicht unmittelbar: Sämtliche grosse Kulturbetriebe, darunter neben dem LSO auch Lucerne Festival, das Luzerner Theater, das Kunstmuseum und das Verkehrshaus, erhalten öffentliche Unterstützungsleistungen über einen Zweckverband. KP17 sieht Kürzungen an dem Kantonsbeitrag an den Zweckverband von 1,2 Millionen vor. Peanuts, könnte man meinen. Doch die Kürzung von 1,2 Millionen durch den Kanton würde auch noch eine Reduktion des städtischen Beitrags an den Zweckverband nach sich ziehen. Statt der bisherigen 3 Millionen bekäme das LSO dann nur noch 2,5 Millionen aus öffentlicher Hand. Eine riesige Strapaze. Der Fehlbetrag liesse sich unmöglich durch noch höhere Sponsoreneinnahmen ausgleichen, gibt Numa Bischof Ullmann, Intendant des LSO, zu bedenken. «Selbst die Politik ist sich darin einig, dass die Summe an Privatgeldern, die wir mobilisieren, nicht noch weiter in die Höhe getrieben werden kann.» Ohnehin schon seien die Sponsoren ein gewisser Unsicherheitsfaktor. Zudem würde ein Rückgang der Subventionen auch die privaten Beiträge infrage stellen. Diesen Dominoeffekt beschrieb ein langjähriger enger Freund des Orchesters, Wolfgang Rihm, mit treffenden Worten: «Es herrscht bislang ein gewachsenes subtiles Wechselspiel zwischen öffentlicher und privater Förderung. Private Förderung wird aber erst motiviert, wenn das öffentlich gestützte Fundament gesund ist. Private Förderung würde ins Leere gehen, wenn der zu fördernden kulturellen Einrichtung durch Entzug öffentlicher Mittel die wichtigen Kräfte der Selbsterneuerung dezimiert würden. Konkret: ein öffentliches Kulturorgan wie ein Orchester verkümmert von innen her, wenn Stellen nicht mehr optimal besetzt werden können. Wenn Programme nach und nach immer konventioneller gehalten werden müssen. Wenn nicht mehr die allerbesten Solisten und Gastdirigenten eingeladen werden können. Langsam, schleichend, Schritt für Schritt verschwindet die Attraktivität eines solchen Ensembles. Es wird noch fähig sein, quasi ‚Hausmannskost’ herzustellen, aber keine Rolle mehr im überregionalen Bereich spielen.» Hausmannskost, weiss Bischof, schliesst Exzellenzförderung aus. «Unser Finanzierungsansatz setzt eine hohe künstlerische Profilierung voraus.»
Bumerang-Effekt
Die mittelfristige Folge wäre ein Defizit von bis zu 4 Millionen, sollten Gelder von privater Seite ausbleiben. Von der Annahme ausgehend, dass Politik und Bevölkerung das Orchester erhalten möchten, würde das Defizit auf die öffentliche Hand abgewälzt werden. Somit würde die Politik das Gegenteil erreichen von dem, was sie beabsichtigt. Und wenn das LSO sein Konzertangebot zurückfahren würde, um weniger auszugeben? Das wäre kontraproduktiv, meint Bischof, da mit jedem Projekt durch Karteneinnahmen und Sponsorenakquise die überlebensnotwendigen Deckungsbeiträge erwirtschaftet würden. «Noch weniger verdienen hiesse für uns schlicht und einfach, Fixkosten nicht decken zu können.» Auch die umgekehrte Variante, mehr Einnahmen durch mehr Angebot, käme nicht infrage. «Wir sind längst an der Kapazitätsgrenze angekommen», so der Intendant. Noch mehr Dienste könne man den Musikerinnen und Musikern nicht aufbürden. Beat Santschi, Präsident des SMV, schätzt das Sparszenario ebenfalls als unzumutbar ein: «Eine weitere Reduktion ist für verantwortungsvolle Arbeitgeber von 70 grossartigen Berufsmusikerinnen und –musikern nicht vertretbar! Im Interesse der künftigen Generationen muss die gesunde Finanzierung des Orchesters langfristig gesichert und nicht abgebaut werden, denn ein totgespartes Orchester kommt nie mehr zurück!»
Die Gefahren lauern noch anderswo: Nachbarkantone könnten sich dazu legitimiert sehen, ihre Ausgleichszahlungen an den Standortkanton zu kürzen. Erst kürzlich forderte die Aargauer FDP den Austritt aus dem interkantonalen Kulturlastenausgleich. Der Aargauer Regierungsrat gab Entwarnung, doch die Gefahr ist damit noch nicht gebannt. Ein hochrangiger CVP-Vertreter gab diesbezüglich zu bedenken: «Als Zuger besuche ich gerne die Konzerte des Luzerner Sinfonieorchesters und das Luzerner Theater. Den Kulturlastenausgleich unterstütze ich deshalb aus Überzeugung. Aber Achtung: Wenn der Standort Luzern die eigene finanzielle Unterstützung kürzt, werden die andern Kantone nachziehen. Eine Schwächung des Kulturplatzes Luzern möchte ich vermeiden.»
Wie geht es weiter?
Am 12. Dezember wird der Kantonsrat über den Sparvorschlag des Regierungsrates abstimmen. Die Chancen, dass er abgewendet wird, stehen nicht schlecht. Gegenwärtig tut das Orchester alles in seiner Macht Stehende, um ins allgemeine Bewusstsein zu rufen, dass es den Steuerzahler von allen Schweizer Berufsorchestern am wenigsten kostet. (Dass es dem LSO keineswegs um einen Unterbietungswettbewerb geht, erklärt sich aus den hier geschilderten Zusammenhängen.) Gleichzeitig verlangt das kompetitive Umfeld des Residenzorchesters des KKL, wo sich die bedeutendsten Klangkörper der Welt die Klinke in die Hand geben, konstante Höchstleistungen. Es dürfte im Interesse aller sein, die tragenden Säulen des Spannungsgefüges von ökonomischer Disziplin und höchsten künstlerischen Ansprüchen vor der Erosion zu schützen.
Will Luzern wirklich ein Orchester? Diese Frage ist für Bischof insofern nicht tabu, als er eine offene und ehrliche Leistungsdiskussion in Gang bringen möchte. In seine Worte mischt sich eine leise Abneigung gegenüber Debatten, in denen es nur noch ums Aufrechterhalten von historisch Gewachsenem um seiner selbst willen geht. Auf die (rhetorische?) Frage, ob Luzern überhaupt ein Orchester haben möchte, folgen für ihn zwei weitere: Was für ein Orchester will die Region? Und wie viel darf es kosten? Auf diese Weise begegnet das LSO dem linearen Spardenken nicht mit dumpfem Protest, sondern mit einer Haltung, die zum inhaltlichen Austausch einlädt. Das Risiko, dass die erste Frage mit Nein beantwortet wird, geht gegen Null. Mehr als vermuten lässt dies das sehr gut besuchte Dankeskonzert des LSO vom 13. November im KKL, das die Musikerinnen und Musiker nicht nur ohne Gage bestritten, sondern auch ohne ihren Chefdirigenten. Sein Terminkalender erlaubte nicht, das kurzfristig anberaumte Konzert zu leiten, so gerne er es wohl getan hätte. Das LSO meisterte die Herausforderung mit Bravour. Möge dieser wunderbare Konzertabend Vorbote eines guten Ausgangs der Abstimmung sein!