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Dialog statt Direktive

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Was im Frühjahr 2018 mit dem 1. Zürcher Musikersymposium seinen Anfang nahm, ist mit der zweiten Ausgabe am 1. April 2019 erfolgreich weitergeführt und etabliert worden. Diesmal drehte sich alles ums Führen.

Führen: Was heisst das eigentlich? Diese Frage kann man natürlich in einer Art Frontalunterricht beantworten. Vermutlich hätten die rund dreissig Teilnehmenden den Moderatoren Christian Bünck und Hans-Peter Achberger stundenlang interessiert zugehört. Doch die beiden wählten einen anderen Weg: Sie rollten den Anwesenden gleich zu Beginn den roten Teppich aus, luden zur aktiven Teilnahme ein, zum Fragenstellen, zur Diskussion. «Bitte nicht melden, sprechen Sie einfach frei in die Runde!», so der Coach und Berater Christian Bünck. Gesagt, getan: Er sei immer wieder verblüfft von der Selbstsicht mancher Führungskräfte, für Sternstunden sorgen zu können, bemerkte ein Teilnehmer, unmissverständlich auf die Rolle des Dirigenten anspielend. Sternstunden setzen einen Flow voraus, für den zunächst einmal Raum zu schaffen sei, lautete die Antwort von einem anderen Platz des grossen Stuhlhalbkreises. Eine Orchestermusikerin ergänzte, dass Führungskräfte nicht im Wege stehen dürften.

Würde es auf die Leitfrage so viele Antworten geben wie Personen im Raum sind? Oder herrscht ungeachtet der Vielschichtigkeit des Themas ein grundsätzlicher Konsens darüber, was gute Führung ist? Auf Flipcharts waren neun mit Führung assoziierte Aspekte notiert. Mit Kreuzchen auf einer Skala von 1 (stimmt kaum) bis 5 (stimme voll zu) kennzeichneten die teilnehmenden Musikerinnen und Musiker, inwieweit diese Aspekte ihrer persönlichen Meinung nach zutreffen. «Zuhören, Rückmeldung geben» erhielt die grösste Zustimmung. An zweiter Stelle folgte «Kollegen und Stimmen zu fördern und zu entwickeln», wohingegen weitaus weniger Teilnehmende angaben, «die Gruppe bzw. das Team im Griff haben» zu müssen. Auch darüber, ob man wissen solle, «wo es langzugehen hat», gingen die Meinungen auseinander. In der Tat tue sich die Wissenschaft schwer damit, Vorhersagen zu treffen, wer für Führungsaufgaben geeignet ist und wer nicht, gab Bünck zu bedenken.

Eine weitere Erkenntnis des Symposiums: Entscheidend ist die Art und Weise der Kommunikation. Unauffällige, subversive, nonverbale Führung, so der Konsens unter den Anwesenden, hat auch ihre Tücken. Es sei gefährlich, wenn das mit dem Gefühl beim Empfänger einhergeht, nicht gemocht zu werden. Zucken und Kopfnicken von Stimmführern könne schnell Missverständnisse provozieren, warf eine Teilnehmerin ein. Sie bezog sich auf einen Fall, bei dem die simple Bitte von einem hinteren Pult, man möge sich doch mal zu den Kollegen umdrehen, Wunder bewirkt hat: «Plötzlich verwandelten sich die Direktive vom Stimmführerpult in einen kurzen Dialog, und zur Führung kam Wertschätzung hinzu».

Am Nachmittag knüpfte Hans-Peter Achberger, seines Zeichens Schlagzeuger der Philharmonia Zürich und zertifizierter Mediator, mit mehreren Übungen an das zuvor Gesagte an. Eine davon war der «Loop of Understanding». Diese Technik, so erläuterte Achberger, sei dann hilfreich, wenn Verständnis sichergestellt ist und einem Missverständnis vorgebeugt werden soll. Das Grundprinzip: Es geht darum, dass dem Gegenüber zunächst aktiv und zugewandt zugehört und das Gesagte auf einer sachlichen Ebene zurückgespiegelt wird. Dabei könne in einem zweiten Schritt auch auf die emotionale Verfassung des Gegenübers eingegangen werden. Das «Loopen» der Verlautbarungen des Gegenübers dient der Verständnissicherung, wobei der entscheidende letzte Schritt darin besteht, sich vom Gegenüber die Bestätigung einzuholen, dass das «Geloopte» richtig verstanden worden ist.

Nicht zuletzt sind auch spielerische, experimentelle Zugänge zum komplexen Thema des Symposiums eröffnet worden. In mehrere Gruppen aufgeteilt, standen die Teilnehmenden vor der Herausforderung, gemeinsam einen Ball, der in der Mitte eines strahlenförmigen Netzes lag, an den Fäden von A nach B zu tragen, ohne dass dieser herunterfällt. Eine Person hatte die verbale Führung zu übernehmen, ohne selbst einen Faden in der Hand zu haben. Hier wurde spürbar, wie sehr Führung ein wechselseitiges Phänomen ist. Neben klaren, gut dosierten Anweisungen ist vor allem sensibles Reagieren gefragt. Führung heisst also auch, dass man nur in der Gruppe Leistung erbringt. Metaphorisch gesprochen: Der Dirigent allein produziert noch keinen Klang.

Die Resonanz des diesjährigen Symposiums, für welches das ZKO erneut grosszügig sein Haus am Bahnhof Tiefenbrunnen zur Verfügung stellte, war durchweg positiv. Es ist ein Format, dem Langlebigkeit vorausgesagt werden darf. Einerseits orientierten sich die Inhalte wieder eng an den Bedürfnissen und Fragestellungen von SMV-Mitgliedern und interessierten Gästen, andererseits erlaubte der Blick von aussen – «Was können wir von Führungskonzepten aus der Wirtschaft ins Musikerdasein übertragen?» – eine Bewusstwerdung über Aspekte, die man im Musikerdasein als selbstverständlich hinnimmt, weil man über die Jahre zu Betriebsblindheit neigt. Und nicht zuletzt bot das Symposium auch den idealen Rahmen für Austausch, Vernetzung und geselliges Beisammensein. Insofern ist es richtig, dieses Format, das sich andere Sektionen getrost zum Vorbild nehmen dürfen, als «Symposium» zu bezeichnen. So hiessen im Alten Griechenland nicht etwa trockene wissenschaftliche Konferenzen, sondern Zusammenkünfte, bei denen man sich wirklich begegnete. Wichtiger noch als die schulische Aneignung von Wissen war dort die gemeinsame Erfahrung.

Johannes Knapp