Durch ein Verbot jeglicher öffentlicher Finanzierung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) und lokaler Privatstationen, ob mittels Gebührenerhebungen oder Subventionen, würde die No-Billag-Initiative im Fall ihrer Annahme ein Desaster für die Schweizer Kultur verursachen.
Laurent Mettraux – Obgleich es utopisch ist, allen alles recht machen zu wollen, so muss man doch feststellen, dass die SRG ein Angriffsziel für die lautstärksten Unzufriedenen darstellt: jene, die meinen, dass diese oder jene Sendung oder ihre Präsentationsweise des Service Public nicht würdig ist, jene, die ihre Gewissheiten nur ungern durch allzu kritische Sendungen erschüttern lassen, ganz zu schweigen von jenen, die denken, dass ihre politischen Ideologien von den öffentlich-rechtlichen Medien nicht ausreichend vertreten werden, oder jenen, die meinen, dass es ein zu kostspieliges Unterfangen ist, in jeder Sprachregion eigene Fernseh- und Radiokanäle zu unterhalten. Andere wiederum wünschten sich eine Strukturreform der SRG oder eine Neudefinition der Gebührenerhebung. In der Tat kann jedermann Beschwerdepunkte hinsichtlich gewisser Aspekte der Programme finden oder enttäuscht sein von der Streichung dieser oder jener Sendung. Diese und weitere Ausprägungen des Missfallens instrumentalisierend, haben populistische Kreise eine Bundesinitiative aufgegleist, über die das Schweizer Stimmvolk am 4. März abstimmen wird. Dann aber wird es weder darum gehen, sich zu diesem oder zu jenem Programm zu äussern, noch über Sendungsinhalte, noch über die innerbetriebliche Funktionsweise der SRG, sondern um die Abschaffung ihrer massgeblichen Finanzierungsquelle (in Höhe von 75 Prozent), die Nutzungsgebühren, was nicht nur den Verlust von Sendungen, die man nicht mag, zur Folge hätte, sondern auch all derer, die man schätzt. Man könnte ja meinen, dass die Empfangsgebühren über Steuern eingezogen werden könnten, um den Verlust der finanziellen Mittel abzuwenden. Der Initiativtext sieht jedoch ausdrücklich vor, dass das Verbot der Finanzierung des Service Public von Rundfunk und Fernsehen in der Bundesverfassung festgeschrieben wird, eine Finanzierung über Steuern und Subventionen ebenfalls untersagend – worauf die Befürworter der Initiative oft tunlichst hinzuweisen vermeiden. Zu glauben, dass die Werbeeinnahmen die Empfangsgebühren ersetzen könnten, ist ebenfalls eine Täuschung: Sie würden nicht ausreichen, um der SRG eine Erfüllung ihres Service-Public-Auftrags zu erlauben; folglich würden die Werbeeinnahmen, wie in einer Negativspirale, schnell zurückgehen.
Auf diese Weise würden voraussichtlich ab dem 1. Januar 2019 sämtliche 17 Radiokanäle sowie die 7 Fernsehsender der SRG abgeschafft (ganz zu schweigen von dem immensen digitalen Angebot auf den Internetseiten). Könnten private Radio- und Fernsehsender an ihre Stelle treten? Da auch sie den Gebührenanteil, der ihnen heute das Überleben sichert, nicht mehr erhalten würden, würden die meisten, wenn nicht sogar alle, ebenfalls verschwinden. Durch Versteigerungen könnten Konzessionen an kommerzielle Pay-TV-Sender vergeben werden, oder an solche, die Milieus vertreten, von denen man schwer vermuten könnte, dass ihre finanziellen, politischen und ideologischen Interessen nicht nur ehrliche oder vertrauenswürdige Berichterstattung, sondern auch Neutralität, Objektivität und Unbefangenheit erschweren, welche die Grundpfeiler einer demokratischen Kultur darstellen und eine kritische Meinungsbildung erst ermöglichen. Um dieser potenziellen Berlusconisierung beziehungsweise den «alternativen Fakten», die den Anhängern des Populismus und des Trumpismus so lieb und teuer sind, den Weg zu bereiten, bricht der Initiativtext mit der Pflicht des Rundfunks wie des Fernsehens, zur Bildung, zur kulturellen Entwicklung, zur freien Meinungsbildung und zur Berücksichtigung der Vielfalt von Standpunkten beizutragen.
Konzerte und Orchester auch betroffen
Man kann die Wichtigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien für die Verbreitung der Kultur und das Wirken der Künstlerinnen und Künstler dieses Landes nur unterstreichen. Einzig und allein die nicht gewinnorientierten Radio- und Fernsehsender können die Vielfalt und die Reichhaltigkeit der Kulturszene der verschiedenen Regionen der Schweiz bezeugen. Für die helvetischen Künstlerinnen und Künstler wäre das unwiederbringliche Verschwinden dieser Sender ein enormer Verlust, insbesondere im Hinblick auf Sichtbarkeit oder Bekanntheit. Dank einer Charta, die gemeinsam von Organisationen, welche Schweizer Musikschaffende vertreten, und der SRG unterzeichnet wurde, konnte die Präsenz von Schweizer Musik in den Programmen bedeutend erhöht werden – übrigens werden die Privatsender in dieser Hinsicht von der SRG bei Weitem übertroffen. Das Aufnehmen und die Ausstrahlung zahlreicher Konzerte und Schweizer Uraufführungen sind für Musiker wie Komponisten essenziell. Jedes Jahr nimmt die SRG nicht weniger als 500 klassische Konzerte wie auch mehr als 700 Konzerte und «Showcases» anderer musikalischer Genres auf, wobei ihre Übertragung ein grosses Publikum erreicht. Auf diese Weise wird das Musikleben unseres Landes umfassend abgebildet, auch dank der Sendungen zu kulturellen Neuigkeiten. Wie viele Karrieren konnten und können sich dank SRF und der anderen Unternehmenseinheiten entfalten? Wie viele Tonträger kamen dank dieser wertvollen Zusammenarbeit zustande ? Wie viele Konzerte konnten in ganz Europa dank der EBU (Europäische Rundfunkunion, engl. European Broadcasting Union) ausgestrahlt werden? Im Fall einer Annahme von No-Billag würden hunderte kulturelle Partnerschaften gekündigt, was für die Veranstalter entsprechender Anlässe grosse Probleme bedeuten würde, insbesondere auf ihrer Suche nach Sponsoren. Der Verlust dieses wichtigen Partners wäre besonders schmerzhaft für das Orchestra della Svizzera Italiana (der im vergangenen Jahr unterzeichnete Zusammenarbeitsvertrag schreibt ein Minimum von zwei Millionen Franken an Orchesterdiensten vor, ganz zu schweigen von der Abgeltung der Sendungs- und Nutzungsrechte), das Orchestre de Chambre de Lausanne sowie das Orchestre de la Suisse Romande. Es muss ausgesprochen werden: Ihre Konzerte wie die der anderen Orchester und Ensembles in der Schweiz würden von den deutschen, französischen oder italienischen Sendern nicht mitgeschnitten (das gleiche gilt allenfalls für kommerzielle oder gar ideologische Privatsender, die Konzessionen erhalten würden), ebenso wenig würden diese Sender Dokumentationen oder Schweizer Filme produzieren (innerhalb von 20 Jahren hat die SRG die Produktion von 2500 Filmen unterstützt), oder sich für Literatur oder die Schweizer Geschichte interessieren: Die Schweiz würde aus der Radio- und Fernsehlandschaft schlichtweg verschwinden. Kulturell gesehen wären die Verluste enorm. Man möge einmal versuchen, sich ein Bild von der Gesamtheit der Sendungen aller SRG-Einheiten auf sämtlichen Gebieten und aller von ihr ausgestrahlten oder unterstützten Veranstaltungen machen und sich die Leere vorstellen, die aus der Annahme von No-Billag resultieren würde: Schwindelgefühle garantiert.
Es stellt sich noch eine andere Frage: Wie können die riesigen Archive der SRG nachhaltig aufbewahrt werden? Wer würde die Kosten für Infrastruktur und Zugänglichmachung tragen? Welches Personal könnte die Aufnahmen kopieren, um sie verfügbar zu machen? Der Abbau des radiophonen und audiovisuellen Service public droht schnell vonstatten zu gehen; man weiss nicht wirklich, wie dieses Erbe geschützt werden soll, dass unter Umständen unwiederbringlich verloren gehen könnte.
Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Die am 4. März zur Abstimmung gelangende Initiative ist radikal und extrem. Sie schlägt keinerlei Verbesserungen vor, lediglich eine Zerstörung des Bestehenden. Wenn auch dieser oder jener Aspekt der Programmgestaltung oder die Art und Weise der Gebührenerhebung vielleicht nicht jedem gefallen, sind das noch keine Gründe, alles kaputt zu machen. Dies käme einem gefährlich radikalen und unverantwortlichen Nihilismus gleich. Für den Fall, dass man zur Verbesserung des Angebots von Radio und Fernsehen beitragen möchte, existieren kantonale bzw. regionale Mitgliedergesellschaften, in denen interessierte Personen sich mit der SRG austauschen und über ihre Prinzipien, ihre Entwicklung und ihre Zukunft debattieren. Aus den Regionalräten heraus konstituieren sich Publikumsräte (einer pro Sprachregion), Instanzen, welche die Sendungen kritisch und konstruktiv analysieren, inhaltliche Grundsatzfragen erörtern und die Programmarbeit begleiten. Ausserdem nimmt der im Dezember letztes Jahres vorgestellte SRG-Konzessionsentwurf manche Kritikpunkte zum Anlass und stärkt die Grundlagen des Service-Public-Auftrags, insbesondere hinsichtlich Information und Kultur.
Damit die Schweizer Kultur überlebt, damit die Konzerte der Orchester und anderer Musikschaffender weiterhin aufgenommen und gesendet werden können, ist höchstes Engagement gegen die No-Billag-Initiative gefragt: in seinem Umfeld darüber sprechen, in den sozialen Netzwerken Gründe nennen, weshalb man sie unbedingt ablehnen sollte – und vor allem zur Abstimmung gehen am 4. März 2018.
Die Musikerinnen und Musiker, die den Aufruf der Kulturschaffenden «No Billag, no Culture» noch nicht unterzeichnet haben, sind eingeladen, dies zu tun unter https://no-culture.ch.
Übersetzung: Johannes Knapp