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Ein klares Ja zur Reform Altersvorsorge 2020

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Im Herbst werden die Schweizer Bürgerinnen und Bürger über die Reform «Altersvorsorge 2020» abstimmen – die Gelegenheit für einen historischen Abriss zur AHV. Im zweiten Teil, den Sie hier unten finden, werden wir uns dann mit den Gründen befassen, weshalb man für diese Reform stimmen sollte.

Gegenwärtig scheint es vollkommen natürlich, dass Betagte eine Rente erhalten. Dennoch ist diese soziale Errungenschaft recht neu. (In der Schweiz besteht die AHV seit weniger als einem Dreivierteljahrhundert.) Als Spiegel der Gesellschaft ist die Literatur, insbesondere jene des 19. Jahrhunderts, voll von Unbemittelten (auch die Einführung einer Arbeitslosenversicherung ist eine späte Errungenschaft) und zerlumpten Bettlern, die nicht genug zu essen haben und im Elend an nicht behandelten Krankheiten sterben (Krankenversicherungen existierten noch nicht). Es dauerte bis zur Gründung von gewerkschaftlichen Organisationen und erforderte einen langen Kampf, um grundlegende Ansprüche einzuräumen, die der Mehrheit der Menschen würdige Lebensbedingungen gewähren, welche manche einer privilegierten Minderheit vorbehalten wollten. (Nach wie vor scheren sich gewisse politische und wirtschaftliche Kreise nicht um die Gefahr einer Rückkehr zu Verhältnissen, wie sie bereits im 19. Jahrhundert herrschten.)

Erste Pensionskassen

Um die Wende zum 20. Jahrhundert riefen etliche grosse Städte und Kantone Pensionskassen ins Leben, gefolgt von Unternehmen, die eine Vorreiterrolle übernahmen (ganz gleich, ob es sich nun um wirkliche soziale Werte ihrerseits handelte oder es darum ging, sich der Verschwiegenheit und der Loyalität ihrer Angestellten nach deren Renteneintritt zu vergewissern). Erst ein Bundesbeschluss, der eine Steuerbefreiung auf Gelder an Vorsorgeeinrichtungen vorsah, beschleunigte diese Bewegung, ebenso wie die Absicht, soziale Spannungen zu mildern, aus Angst, dass die russische Oktoberrevolution in der Schweiz zur Nachahmung ermutigen könnte. Diese Pensionskassen wurden entweder direkt von den Unternehmen oder von Lebensversicherern verwaltet.

Eine der hauptsächlichen Forderungen der gewerkschaftlichen Bewegungen blieb allerdings die Gewährleistung einer richtigen Versicherung für Senioren, Invalide und «Hinterbliebene» (das heisst Witwer, Witwen und Waisenkinder). Im Jahre 1925 hat das Volk einer Verfassungsänderung zugestimmt, die dem Bund die Kompetenz zuschrieb, eine Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) auszuarbeiten – die Invaliden wurden dabei vergessen und mussten bis 1960 warten. Ein erstes, noch sehr zaghaftes Projekt, wurde 1929 entwickelt und im selben Jahr von den eidgenössischen Räten angenommen. In einer Zeit wirtschaftlicher Ungewissheit jedoch wurde dann ein Referendum aufgegleist, bei dem das Stimmvolk den ersten Versuch zurückwies. Damals bildete die private Vorsorge eine starke Lobby und war von der staatlichen Konkurrenz nicht gerade angetan, zumal die steuerbefreiten Rentenfonds eine Selbstfinanzierung der Unternehmen möglich machten. Die Steuerung dieses immer kolossaleren Vermögens stellte (und stellt noch heute) eine interessante Einnahmequelle für den Finanz- und Versicherungssektor dar. Letzterer zog es vor, dass die AHV-Renten (erste Säule) eher tief ist, und zwar dergestalt, dass der von ihnen verwaltete Teil der Altersvorsorge (zweite Säule: Pensionskasse, und dritte Säule: Einzelversicherung) so hoch wie möglich ausfällt.

Einführung der AHV – endlich!

Im Jahre 1946 wurde im Parlament ein neues Bundesgesetz zur Einführung einer AHV verabschiedet. Trotz eines neuen Referendums konservativer Kreise, die sich gegen diese soziale Errungenschaft formierten, wurde es am 6. Juli 1947 vom Volk angenommen, wobei vier von fünf Bürgern dafür stimmten. Bei seinem Inkrafttreten am 1. Januar des Folgejahres fielen die Renten besonders tief aus, doch wurden sie nach und nach angehoben und 1979 schliesslich indiziert (obgleich die Indizierung nicht der Lohnkurve folgte). Zwischenzeitlich hatte sich der Kampf zwischen öffentlicher und privater Vorsorge verstärkt. Drei Initiativen wurden eingeleitet, jedoch zogen die Bürger einen im Jahre 1972 einvernehmlich verabschiedeten Gegenentwurf vor: Die AHV wurde gestärkt, wohingegen die zweite Säule ab einem gewissen Betrag obligatorisch werden konnte. Damit ein Ausführungsgesetz eingeführt werden konnte, mussten jedoch erst einmal die wirtschaftlichen Flauten der Siebzigerjahre abgewartet werden. Die Privatversicherer versuchten alsbald die Rolle des Staates in der Pensionskassenaufsicht zu beschränken. Tatsächlich gewährte das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) vom 25. Juni 1982 und in Kraft getreten am 1. Januar 1985 den Kassen eine grosse Autonomie. Seither ist die Investitions- und Vermögensverwaltungsaufsicht allmählich verbessert worden, sowohl hinsichtlich der Verwaltung wie auch der Transparenz.

Eine soziale Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt

Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Marxismus-Leninismus glaubte so manch einer, dass der Triumph des Liberalismus es rechtfertige, die soziale Sicherheit infrage zu stellen, so als ob selbige nichts anderes als ein Schutzwall zur Beschwörung des Gespenstes des Kommunismus und zur Beruhigung der Bevölkerung gewesen wäre. Unter dem Euphemismus «grössere Eigenverantwortung» verbarg sich (und verbirgt sich noch heute) ein Zerstörungswille. Der Druck zugunsten eines Leistungsabbaus wurde grösser: Hinsichtlich der Altersvorsorge verlangten ultraliberale Kreise, dass jeglicher über das Existenzminimum hinausgehende Versicherungsschutz privat verantwortet und die Beitragspflicht gemäss BVG aufgehoben wird. Bereits damals begründeten sie ihre Vorstösse mit einer vermeintlichen Pleite der AHV. Seither sind mehrere Versuche eines Leistungsabbaus an der Urne abgeschmettert worden. Eine andere beispielhafte Episode, jedoch neueren Datums: die massiven Schwierigkeiten, unter denen im vergangenen März während der Debatten um die «Reform Altersvorsorge 2020», welche die Frucht eines Konsenses zwischen den verschiedenen politischen Kräften ist (und am 24. September dieses Jahres dem Volk zur Abstimmung unterbreitet wird), die Erhöhung der AHV-Rente um 70 Franken pro Monat im Nationalrat angenommen wurde. Es handelt sich im Grunde genommen um eine angemessene Verrechnung der konsequenten Herabsenkung des Umwandlungssatzes des Vorsorgekapitals. Demgegenüber bevorzugt hätten die Gegner jedoch lieber eine Erhöhung des Arbeitnehmerbeitrags, also der privaten Vorsorge.

Dieser historische Abriss der sozialen Sicherheit bezüglich der Altersvorsorge mag die aktuellen Positionen gewisser politischer Akteure erhellen. Er soll die Schwierigkeiten bewusstmachen, ein grundlegendes Recht durchzusetzen, aber auch die Tatsache, dass man wachsam bleiben muss, da die sozialen Errungenschaften jederzeit infrage gestellt werden können, besonders dann, wenn gewisse Wirtschaftsideologien menschliche und soziale Gesichtspunkte untergraben.

 

Zweiter Teil:

Diesen Herbst sind die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, über eine neue Reform der Altersvorsorge abzustimmen (AV 2020). Aus welchen Gründen spricht sich der SGB, dem der SMV angehört, dafür aus?

Seit 1979 sind die AHV-Renten im Prinzip an die Teuerung und die Lohnentwicklung gekoppelt. Nun sind die Beiträge zur obligatorischen Krankenversicherung aber nicht im Landesindex der Konsumentenpreise berücksichtigt. Auch die Wohnkosten zählen nur zu 25,235% (Zahl für 2017) in die Berechnung dieses Index ein. Da sowohl die Beiträge als auch die Mieten in den letzten Jahren massiv gestiegen sind, ist die Kaufkraft von Menschen mit geringerem Einkommen, darunter auch die Mehrheit der Rentner, infolge dieser Zunahmen zusammengeschrumpft. Auch die Löhne sind insgesamt schneller gestiegen als die AHV-Renten. Diese sind ausserdem seit 2015 nach einer Entscheidung des Bundesrates im Juni 2016, diese Koppelung einzustellen, nicht einmal mehr an den Index gebunden. Wenn die AV 2020 durchkommt, könnten die AHV-Renten endlich steigen (pro Jahr um 840 Franken für Alleinstehende und 2712 für Ehepaare), um die schleichende Prekarisierung der AHV-Rentner besser zu bekämpfen. Dies müsste auch die progressive Senkung des Umwandlungssatzes kompensieren, die in 0,2%-Schritten von 6,8 auf 6% heruntergesetzt wird. Diese Senkung würde auch durch verschiedene andere Massnahmen kompensiert (Erhöhung der Altersgutschriftensätze ab 35 Jahren, Zuschüsse durch den Sicherheitsfonds BVG für Personen älter als 45, Verbesserungen für Menschen mit geringem Einkommen und für Teilzeitbeschäftigte, Einführung eines flexiblen Rentenbezugs analog zur AHV). Auf diese Weise würde – anders als beim 2010 abgelehnten Reformprojekt – die Senkung des Umwandlungssatzes kompensiert, trotz der wiederholten Attacken auf das Rentenniveau.

Dank der Übertragung von 0,3% der IV-Zusatzfinanzierung an die AHV ab dem Jahr 2018 und der leichten Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um 0,3% ab 2021 würden die Finanzen der AHV bis 2030 konsolidiert, sodass eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre für alle vermieden würde. Zu den anderen Verbesserungen, die in Kraft treten könnten, falls die Bürger der AV 2020 zustimmen, kann man das Wegfallen von einigen Skandalen nennen: Angestellte älter als 58 Jahre, die ihre Arbeit verlieren, werden endlich das Recht haben, in ihrer Ausgleichskasse zu bleiben und eine Rente zu erhalten – was bisher nicht der Fall war: die entlassene Person erhielt obligatorisch ihre 2. Säule in Form von Kapital; die Regulierung der Lebensversicherer wird strenger sein, um übermässige Beiträge zu bekämpfen; es wird ausserdem eine grössere Transparenz gefordert werden bei der Überschussbeteiligung, damit dieses Geld wieder zu denen zurückkommt, die es eingezahlt haben, und nicht über undurchsichtige Umverteilungen irgendwelchen Dritten zukommt.

Für viele Personen ist die progressive Anhebung des Rentenalters bis 2021 auf 65 Jahre für Frauen das Zugeständnis, das am schwierigsten zu akzeptieren ist. Doch angesichts des sehr wahrscheinlichen Risikos, dass im Falle einer Ablehnung der AV 2020 das Rentenalter für alle auf 67 Jahre angehoben wird, würde es sich um das geringere Übel handeln. Im Gegenzug würde die bessere Abdeckung von Teilzeitarbeit in der 2. Säule vielen Frauen zugute kommen. Ausserdem haben die Vertreter des SGB gefordert, dass die Lancierung einer Initiative zur Umsetzung der Lohngleichheit erörtert wird.

Laurent Mettraux
Übersetzung: Johannes Knapp