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Auswirkungen der vorgeschlagenen Auflösung des Sinfonieorchesters Biel Solothurn – offener Brief

Sehr geehrter Herr Stadtratspräsident
Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte

Mit Entsetzen verfolgen wir die Entwicklungen in Biel bezüglich der geplanten Abschaffung des Sinfonieorchesters Biel Solothurn zugunsten eines Projektorchesters. Diese Massnahme ist gemäss unserer Erfahrung kulturpolitisch unsinnig, kann doch ein Projektorchester weder in qualitativer noch mit vergleichbarem finanziellen Aufwand in quantitativer Hinsicht nur annähernd das gleiche Angebot aufrecht erhalten wie ein Berufsorchester. Wir bezweifeln auch, dass eine solche Massnahme zu den erhofften Einsparungen führt und mit Blick auf die finanziellen Investitionen der letzten Jahre und die damit verknüpfte positive Entwicklung des Orchesters sinnvoll ist.

Mit rund 1.7 Millionen Franken wurde die in der Spielzeit 2013/14 umgesetzte Fusion zwischen Orchester und Theater Biel Solothurn von der öffentlichen Hand unterstützt. Jetzt da sich die neue Institution TOBS erfolgreich etabliert und sich beim Publikum in der Schweiz – und nicht nur in Biel – sowie im Ausland einen Namen gemacht hat, steigende Zuschauerzahlen vorweist und die Aufbruchstimmung im Orchester spür- und hörbar ist, soll dieses Orchester wegen erhofften 360‘000 Franken jährlichen Minderausgaben weggespart werden.

Diese 360‘000 Franken, die man mit der Abschaffung des Orchesters glaubt einzusparen zu können, entsprechen etwa 10% der jährlichen Zuwendungen der Stadt Biel an TOBS. In Anbetracht des Verlustes von rund 50 hochwertigen Arbeitsplätzen und den entsprechend benötigten sozialen Auffangstrukturen dürften Einsparungen, so sie denn unter dem Strich überhaupt resultieren, gering wiegen. Ab einem Alter von 35 Jahren haben MusikerInnen keine Chance mehr auf eine Neuanstellung in einem Orchester, sie werden nicht einmal mehr zu den Probespielen eingeladen. Die freischaffende Szene bietet leider aufgrund der beschränkten Angebote, der verbreiteten Dumpinglöhne und der häufig inexistenten sozialen Absicherung heute schon nur den allerwenigsten BerufsmusikerInnen ein ausreichendes Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Umso wichtiger ist es, in dieser Branche vorhandene feste Arbeitsplätze zu erhalten, die durch GAV geregelte und sozialverträgliche Arbeitsverhältnisse bieten.

Die Erfahrung zeigt, dass ein Projektorchester, das den Anspruch erhebt, qualitativ und quantitativ vergleichbar mit einem etablierten Berufsorchester mithalten zu können, keinesfalls kostengünstiger arbeiten kann. Der administrative Aufwand für die Zusammenstellung und Organisation eines Projektorchesters ist immens und wiederkehrend, entsprechend mit erheblichen Kosten verbunden. Hier sei nur beispielhaft auf die weiteren Anreisewege der MusikerInnen und die damit verbunden Spesenkosten und die Schwierigkeit, die Spitzenzeiten der Feiertage wie zum Beispiel Ostern oder Advent überhaupt abdecken zu können, verwiesen. Die mögliche Anzahl der verschiedenen aufzuführenden Projekte eines solchen ad hoc zusammen gesetzten Orchesters liegt bei vergleichbarem Aufwand naturgemäss tiefer als bei einem eingespielten festen Klangkörper, der auf ein eingeübtes Repertoire und Wiederaufnahmen zurück greifen kann. Im Übrigen muss wohl realistischer Weise damit gerechnet werden, dass einem Projektorchester effektiv bedeutend weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen könnten, weil eine Kürzung oder gar ein Wegfall der finanziellen Beiträge der heutigen Finanzpartner Stadt Solothurn, Kanton Bern und Regionale Kulturkonferenz Biel naheliegend ist.

Ein Berufsorchester ist ein gewachsener, eingespielter und abgestimmter Klangkörper mit einer ganz eigenen Identität. Ein immer wieder neu zusammen gewürfeltes Projektorchester kann ein solches Klangbild, eine solche Qualität nicht erreichen. Ein projektweise zusammengestelltes Musikerkollektiv zu engagieren, würde bedeuten, immer wieder von Null zu beginnen und langwierige Aufbauarbeit zu leisten, bei welcher es zunächst um Technisches ginge. Auf die erfahrenen, eingespielten und vielseitigen TOBS-MusikerInnen kann nicht gezählt werden. Diese würden gezwungen, ihre beruflich Zukunft, soweit überhaupt möglich, in einem anderen Berufsorchester, das stabile und ihren Erfahrungen angemessene Bedingungen bieten kann, oder aber in neuen Beschäftigungsfeldern und neuen geografischen Regionen zu suchen.

Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn nimmt weiter auch im Rahmen der Nachwuchsausbildung über die Stiftung Schweizer Orchester-Nachwuchsförderung (SON) eine gesamtschweizerische Bedeutung wahr. Mit der Auflösung des Orchesters würden nicht nur die sowieso schon raren Praktikumsplätze der Musikhochschulen weiter schrumpfen, sondern auch ein renommierter und etablierter Bildungsträger für den Orchesternachwuchs verloren gehen.

Auf Seiten der Sozialpartner herrscht Einigkeit betreffend der Einschätzung über die verheerenden Auswirkungen der geplanten Abschaffung und über die vielschichtige Notwendigkeit des Fortbestandes des Sinfonie Orchester Biel Solothurn. Auch TOBS bekennt sich klar zu seinem Orchester und der Widerstand gegen die geplante Zerschlagung des Orchesters regt sich nicht zuletzt auch aus diesen Reihen. Der Verband Schweizer Berufsorchester orchester.ch findet in seinem offenen Brief vom 19. März 2015 deutliche Worte dafür.

Im Weiteren hegen wir die Befürchtung, dass unter dem Titel „Sparmassnahmen“ effektiv auch Umverteilungsabsichten zum Vorschein kommen könnten, was selbstverständlich nichts mehr mit Sparen zu tun hätte und die Notwendigkeit und den Sinn dieser Massnahme gleich doppelt hinterfragen liesse.

Die Abschaffung des Sinfonie Orchester Biel Solothurn würde eine massive Einbusse in Qualität und Breite des kulturellen Angebots der Region bedeuten, eine unwiederbringliche Aufgabe eines profilierten Klangkörpers und einheimischen Kulturgutes, die Aufhebung von 50 hochwertigen Arbeitsplätzen, den Widerspruch zu kürzlich getätigten Investitionen in diese Institution von 1.7 Millionen Franken – dies alles bei einem ungesicherten und im Verhältnis geringen Spareffekt von erhofften 360‘000 Franken.

Wollen Sie, sehr geehrter Stadtratspräsident, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, wirklich die Verantwortung für die Zerschlagung einer bald 50-jährigen hochklassigen Traditionsinstitution übernehmen, die in der Bevölkerung beliebt und verankert ist und einen äusserst wertvollen Beitrag an die Nachwuchsförderung leistet? Wir fordern den Bieler Stadt- und Gemeinderat auf, von dieser unsinnigen und verfehlten Sparmassnahme abzusehen!

Mit freundlichen Grüssen

Beat Santschi, Zentralpräsident SMV
Barbara Aeschbacher, Zentralsekretärin SMV