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Erklärung des FIM-Vorstands zu KI in der Musik

Die Musikbranche wird regelmäßig mit bahnbrechenden technologischen Innovationen konfrontiert, die sich auf den Sektor, das Publikum und die Künstler*innen auswirken. Bestimmte historische Veränderungen, die heute als Fortschritt wahrgenommen werden, konnten seinerzeit die Arbeitsplätze der ausübenden Künstler*innen destabilisieren, ihr Einkommen schmälern und ihre Arbeitsweise tiefgreifend verändern. Dies war der Fall beim Rundfunk, der Schallplatte, der Minikassette, der CD und der Computermusik, in jüngerer Zeit beim Herunterladen und Streaming und jetzt bei der künstlichen Intelligenz.

Die Entwicklung des gesetzlichen Rahmens kann dazu beitragen, diese Auswirkungen für die verschiedenen betroffenen Parteien auszugleichen. Für die ausübenden Künstler*innen haben das Übereinkommen von Rom und das WPPT-Übereinkommen willkommene Lösungen in Bezug auf die öffentliche Sendung und Wiedergabe erbracht. Leider ist es mit Hilfe dieser Instrumente nicht gelungen, das Herunterladen und Streaming wirksam zu regeln, da Artikel 10 des WPPT in seiner derzeitigen Fassung es den Künstler*innen nicht ermöglicht, einen angemessenen Anteil an den Einnahmen aus der Online-Verwertung ihrer Aufnahmen zu erhalten.

Die jüngsten Fortschritte in der generativen künstlichen Intelligenz und die für das maschinelle Lernen eingesetzten Techniken legen eine Analogie zu den menschlichen Lernmechanismen nahe. Allerdings stößt diese Analogie schnell an ihre Grenzen. Die Menge der aufgenommenen Daten und die Geschwindigkeit, mit der die Maschine diese Daten sammelt und verarbeitet, stehen in keinem Verhältnis zu dem, wozu der menschliche Geist in der Lage ist. Das maschinelle Lernen besteht darin, sich alle derzeit zugänglichen Erzeugnisse des menschlichen Geistes anzueignen und sie in Algorithmen zu kodieren, um auf der Grundlage des damit erworbenen Wissens neue Inhalte zu erzeugen. Dieses neue Paradigma unterscheidet sich grundlegend von dem langsamen und schrittweisen Wissenserwerb beim Menschen.

Die KI-Dienste, die seit kurzem der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, sind ein wettbewerbsfähiger und schnell wachsender Markt mit strategischen Implikationen und beträchtlichen Gewinnaussichten. Für dieses neue Ökosystem gibt es jedoch keinen angemessenen gesetzlichen Rahmen, der die Gemeinschaft der Urheber*innen schützt, deren Arbeit und Talent in einem unvorstellbaren Ausmaß ausgebeutet werden.

EIN UNZUREICHENDER URHEBERRECHTLICHER RAHMEN

Der bestehende rechtliche Rahmen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte war nicht darauf ausgelegt, die besonderen Probleme zu lösen, die sich heute durch generative KI stellen, weder für eingehende oder noch für ausgehende Daten. Man sollte daher nicht davon ausgehen, dass die Übertragung der exklusiven Rechte ausübender Künstler*innen auf einen Produzenten das Recht umfasst, die Nutzung der aufgezeichneten Darbietungen dieser Künstler*innen durch KI zu erlauben oder zu verbieten, unabhängig davon, ob eine solche Nutzung eine Vervielfältigungshandlung beinhaltet.

Das 1996 vom WPPT eingeführte Urheberpersönlichkeitsrecht der ausübenden Künstler*innen ist hierbei nicht hilfreich. Es beschränkt sich darauf, „das Recht, zu verlangen, als ausübende Künstler*innen ihrer Darbietungen identifiziert zu werden, es sei denn, die Art der Nutzung der Darbietung gebietet es, dies zu unterlassen, und gegen jede Entstellung, Verstümmelung oder sonstige Änderung ihrer Darbietungen Einspruch zu erheben, die ihrem Ruf schaden würden.“ Im Umfeld der künstlichen Intelligenz brauchen und verdienen die ausübenden Künstler*innen ein solideres moralisches Recht, das weit genug gefasst ist, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich individuell gegen die Nutzung ihrer Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile zu Zwecken des digitalen Datenaustauschs oder der Erzeugung von Audioprodukten durch künstliche Intelligenz (oder mit deren Hilfe) einschließlich tiefgreifender Fälschungen, zu wehren.

Die Urheberrechtsfähigkeit von durch KI (oder mit ihrer Hilfe) erzeugten Inhalten ist eine neue und komplexe Frage, die je nach Land zu unterschiedlichen Entscheidungen führt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es noch schwierig, eine eindeutige Entscheidung zwischen der Urheberrechtsfähigkeit von KI-Inhalten (oder mit ihrer Hilfe) und ihrer Einstufung als gemeinfrei zu treffen.

DIE GESETZGEBUNG DER EUROPÄISCHEN UNION BIETET KEINE ZUFRIEDENSTELLENDE ANTWORT

Art. 4 der Richtlinie 2019/790, der eine Ausnahme vom ausschließlichen Vervielfältigungsrecht für „Text- und Data- Mining“(TDM) vorsieht, erlaubt es den Rechteinhaber*innen, ihre Rechte durch „maschinenlesbare Mittel im Falle von online öffentlich zugänglich gemachten Inhalten“ zu behalten.

Erstens ist zu klären, ob die oben erwähnte Schutzrechtsausnahme des Art. 4 mit dem in der Berner Übereinkunft, dem WCT, dem WPPT, dem Peking-Vertrag und dem EU-Besitzstand verankerten Dreistufentest vereinbar ist, der Beschränkungen eines ausschließlichen Rechts nur dann zulässt, wenn die folgenden kumulativen Kriterien erfüllt sind:
a. in bestimmten Sonderfällen;
b. die der normalen Verwertung des Werks nicht entgegenstehen; und
c. die berechtigten Interessen des Urhebers/Rechtsinhabers werden nicht unangemessen beeinträchtigt.

Insoweit das von der KI erzeugte Output auf den Markt gelangen und mit menschlichen Kreationen zu unlauteren Bedingungen konkurrieren soll, ist die Einhaltung der Schritte b und c höchst fragwürdig.

Ein weiteres Problem dieses Artikels ist, dass wir fünf Jahre nach der Verabschiedung von Richtlinie 2019/790 immer noch keine standardisierten maschinenlesbaren Mittel haben.

Schließlich macht die Anzahl der Rechteinhaber*innen einer aufgezeichneten Darbietung den „Opt-out“- Mechanismus zu einer komplizierten Maschinerie, für die noch keine einvernehmliche Lösung gefunden werden konnte.

Art. 50 des europäischen KI-Gesetzes verlangt ein Mindestmaß an Transparenz in Bezug auf die für die Generierung von Inhalten verwendeten Quellen durch „Transparenzverpflichtungen für Anbieter und Betreiber bestimmter KI-Systeme.“ Wir begrüßen diesen ersten Schritt und sind der Ansicht, dass alle durch KI (oder mit ihrer Hilfe) erzeugten Inhalte mit detaillierten Informationen über die verwendeten Quellen und einer Garantie, dass alle Rechte der Urheber*innen respektiert wurden, dokumentiert werden sollten. Außerdem ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit über die Art des Inhalts informiert wird und weiß, ob es sich um das Werk eines menschlichen Geistes oder eines KI-Produkts handelt.

EMPFOHLENE ABHILFEMASSNAHMEN

Auf der Input-Seite

Verhinderung der Verdrängung des Menschen

Eine lebendige Kultur menschlichen Schaffens ist ein untrennbarer Bestandteil des Fundaments einer zivilisierten Gesellschaft. Dieses Gebot erfordert faire, aber strenge Kontrollen, die ein Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des kommerziellen Unternehmertums und dem Gebot jeder Gesellschaft herstellen, ihre kulturelle Seele vor der Verdrängung durch den unaufhaltsamen Fortschritt der Technik zu schützen und zu bewahren

Es ist daher nicht hinnehmbar, dass ausübende Künstler*innen ohne ihre freie, vorherige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung und ohne finanzielle Entschädigung Opfer einer groß angelegten Verwertung ihrer Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile werden können. Die ausübenden Künstler*innen sollten das Recht haben, das Scraping und die Analyse ihrer Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile durch ein KI-System zu genehmigen und wirksam zu verbieten, auch nach der Übertragung ihrer exklusiven Rechte, und eine finanzielle Entschädigung für eine solche Nutzung zu erhalten.

Außerdem muss sichergestellt werden, dass ausübende Künstler*innen das gleiche Maß an Schutz gegen die unerlaubte Nutzung ihrer Darbietungen durch KI genießen, unabhängig davon, ob diese auf einem literarischen oder künstlerischen Werk, einem Ausdruck der Folklore oder auf KI-generiertem Material beruhen.

Auf der Output-Seite

Sobald die KI-Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile von Künstler*innen aufgenommen und analysiert hat, kann sie diese Daten nutzen, um neue Inhalte in einem Umfang zu produzieren, der eine erhebliche Marktverzerrung und eine objektive Bedrohung für die Karrieren und den Lebensunterhalt aller derzeitigen und künftigen Künstler*innen darstellt.

Wir brauchen ein nachhaltiges rechtliches und wirtschaftliches Umfeld, welches wirksam verhindert, dass KI- generiertes Ton- und Bildmaterial den Markt durch Preise verzerrt, welche weit unter denen menschlicher Schöpfungen liegen, die durch Urheberrecht und verwandte Schutzrechte geschützt sind.

Finanzieller Ausgleich auf der Grundlage der Produktion

In dem Maße, in dem KI-generierte Inhalte ihren Wert aus menschlichen Kreationen beziehen, die in großem Umfang genutzt werden, ist es durchaus angebracht, obligatorische Entschädigungsmechanismen zu erwägen, welche der kreativen Gemeinschaft zugutekommen und für alle generativen KI-Werkzeuge gelten.

Daher sollten innovative Vergütungsmechanismen auf der Grundlage der Produktion in Betracht gezogen werden. Für jede KI-gestützte Generierung von Musikinhalten sollten die ausübenden Künstler*innen fair entlohnt werden, da ihre Arbeit und ihr Talent die Wissensgrundlage für diese Inhalte bilden. Solche fairen Zahlungen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass die Arbeit einzelner Menschen durch generative KI normalisiert oder ungebührlich gefördert wird. Wir brauchen ein Vergütungssystem, das einen Produzenten, der den Einsatz generativer KI in Erwägung zieht, ehrlich dazu zwingt, die wirtschaftlichen Vorteile von Produkten und Darbietungen, die von Menschen erstellt wurden, gegenüber den Vorteilen von Produkten, die von generativer KI hergestellt wurden, abzuwägen.

Dies kann die Schaffung einer Regelung sui generis für geistiges Eigentum als eigenständige Gesetzgebung für eine angemessene Entschädigung erfordern. Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker (UNDRIP), in der das Recht indigener Völker auf Rückgabe oder gerechte, faire und angemessene Entschädigung für Ressourcen, die ohne ihre freie, vorherige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung entnommen und genutzt wurden, bekräftigt wird, ist ein sinnvoller Grundsatz, dessen Befolgung wir empfehlen.

Bestehende Entschädigungsmechanismen für Privatkopien können ebenfalls ein wertvolles Modell für die Erhebung von Zahlungen von den Nutzern und deren Verteilung an die betroffenen Künstler*innen darstellen.

Wir unterstützen auch nachdrücklich die Formulierung in Grundsatz 11 des internationalen Entwurfs der G7- Leitprinzipien für Organisationen, die fortgeschrittene KI-Systeme entwickeln, und fordern die Europäische Kommission und die G7 auf, sich weiterhin für eine ausdrückliche Formulierung zur Achtung von durch geistige Eigentumsrechte geschütztem Material, einschließlich urheberrechtlich geschützter Inhalte, und zur Gewährleistung der Transparenz von Datensätzen, und dies als Teil der Förderung einer sicheren und vertrauenswürdigen Technologie für künstliche Intelligenz (KI) weltweit einzusetzen.

Fassung vom 27. Juni 2024

2024-06-27-FIM EC statement on AI in music-DE