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Welche Gesetzgebung für die generative KI?

Einer der zahlreichen Aspekte der Künstlichen Intelligenz (KI) betrifft sowohl den Schutz personenbezogener Daten als auch das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Die Internationale Musiker-Föderation (FIM) hat eine Stellungnahme zu diesem Thema verfasst.

Spätestens seit der griechischen Antike hat die Fantasie eines anthropomorphen Roboters mit umfangreicher Lernfähigkeit regelmässig die Vorstellungskraft, vor allem die literarische, beflügelt, insbesondere seit dem Aufkommen der Science-Fiction-Literatur. Aber die jüngste schwindelerregende Entwicklung der Technologie der Künstlichen Intelligenz präsentiert sich im Moment nicht in der Form von Androiden, sondern als Datenzentren, in denen spezifische Programme ihre künstlichen neuronalen Netze weben und sich mit Hilfe von kostenlos im Netz verfügbaren Daten, einschliesslich Gesprächen in sozialen Netzwerken und Texten, die von Online-Übersetzungstools verwendet werden, weiterentwickeln. Diese Riesenmenge an «training data» inspiriert und beeinflusst die KI-Programme und ermöglicht es ihnen, durch Algorithmen neue Inhalte auf der Grundlage des damit erworbenen Wissens zu erzeugen. Das bekannteste Beispiel sind derzeit die Konversationstools. Als Reaktion auf diese massive Verwendung von Texten kann eine beträchtliche Zahl von Websites, darunter diejenigen wichtiger Zeitungen, nur noch gegen Bezahlung gelesen werden. Das trägt einerseits dazu bei, das Angebot für individuelle Nutzer*innen, die nicht mehrere Websites abonnieren wollen, einzuschränken und andererseits die Qualität der im Netz verfügbaren Informationen zu verzerren: Desinformations- oder ideologisch orientierte Websites haben kein Interesse daran, die Nutzung ihrer Inhalte zu verhindern, ganz im Gegenteil erhalten sie schrittweise eine grössere Bedeutung, wenn zuverlässige Nachrichtenseiten für KI-Suchmaschinen unzugänglich werden.

Der Einsatz von KI beschränkt sich nicht auf das Verfassen von mehr oder weniger aufwendigen Texten: Sie sammelt auch Bild-, Audio- oder Videodateien. Die Stimmen von Schauspieler*innen oder Sänger*innen werden ohne deren Zustimmung verwendet, Bilder von politischen Persönlichkeiten werden verändert und Videomontagen lassen sie Dinge äussern, die sie nie gesagt haben. Abgesehen von dieser besorgniserregenden Verwendung, die  eher auf Böswilligkeit und mangelnde Rechtsvorschriften zurückzuführen ist als auf die Technologie selbst, kann der Einsatz von KI selbstverständlich bestimmte Tätigkeiten bedeutend erleichtern und lästige Wiederholungsarbeiten unnötig machen. Das ist zum Beispiel bei einer Software der Fall, die es erlaubt,  unerwünschte Geräusche in einer Aufnahme zu identifizieren und sie automatisch zu entfernen, etwa das Knistern beim Digitalisieren einer alten Schallplatte. In ähnlicher Weise arbeiten mehrere Funktionen von Musiknotationssoftware mit KI. Effektiv nutzen die meisten Leute diese Technologie seit mehreren Jahren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Filmindustrie nutzt sie massiv, so sehr, dass viele Arbeitsplätze gefährdet sind, wie der Streik der amerikanischen Drehbuchautor*innen 2023 spektakulär gezeigt hat. Die betroffenen Autor*innen forderten, dass KI-Tools nicht dazu eingesetzt werden, um sie arbeitslos zu machen, sondern nur als Recherchierhilfe oder für Details des Drehbuchs. Auch Schauspieler*innen, die sich auf die Synchronisation von Stimmen spezialisiert haben, sind beunruhigt und befürchten, durch digitale Tools ersetzt zu werden. Es gibt tatsächlich bereits Software,  die Stimmen klonen und sie alles sagen lassen kann, was man will. Eine Plattform offeriert bereits, eigene Episoden von Serien zu erstellen und im Web zu teilen, deren gesamte Konzeption (Drehbuch, Text, Schnitt, Charaktere, Synchronisation, Musik, etc.) von KI ausgeführt wird. Auch wenn die ersten Resultate noch nicht hundertprozentig befriedigen, stehen wir am Anfang einer technologischen Revolution, die für alle zugänglich sein wird, im Guten wie im Schlechten.

Ausser der Frage des Schutzes von personenbezogenen Daten, die den Internetnutzer*innen am Herzen liegt, ist die Problematik  der Urheberrechte und der verwandten Schutzrechte Gegenstand anhaltender Aufmerksamkeit der Künstler*innenverbände. Zwischen den einen, die sich um die Rechte der Urheber*innen sorgen und eine möglichst angemessene Rechtsprechung anstreben, und den andern, für die Werke nur Daten sind, die man ohne Einschränkung durch KI verwerten kann, tobt eine hitzige Debatte. Die entscheidende Frage wird sein, welche Interessen vom Gesetzgeber und von den Gerichten als vorrangig angesehen werden. Zu diesem Zweck hat die Internationale Musiker-Föderation (FIM) eine Erklärung mit konkreten Empfehlungen ausgearbeitet. Der SMV wirkt in der FIM in der Person des Zentralsekretärs Beat Santschi aktiv mit, der, wie wir in Erinnerung rufen möchten, auch Vizepräsident der Föderation ist.

Die FIM-Erklärung

 Nach einer kurzen Erinnerung an die historischen Veränderungen, mit denen der Musiksektor konfrontiert war, betont die FIM, dass die Entwicklung des Rechtsrahmens teilweise dazu beitragen kann, deren negative Auswirkungen zu kompensieren. Obwohl das Übereinkommen von Rom und das WPPT-Übereinkommen (WIPO Performances and Phonograms Treaty)  der World Intellectual Property Organization (WIPO) für die ausübenden Künstler*innen willkommene Lösungen in Bezug auf die öffentliche Sendung und Wiedergabe erbracht haben, ist es leider  mit Hilfe dieser Instrumente nicht gelungen, das Herunterladen und Streaming wirksam zu regeln, da Artikel 10 des WPPT in seiner derzeitigen Fassung es den Künstler*innen nicht ermöglicht, einen angemessenen Anteil an den Einnahmen aus der Online-Verwertung ihrer Aufnahmen zu erhalten. Dieser Rechtsrahmen ist noch weniger in der Lage, die besonderen Probleme zu lösen, die sich heute durch generative KI stellen, sei es bei der Nutzung vorhandener Daten oder beim Endergebnis ihrer Nutzung.

In den FIM-Empfehlungen finden sich folgende Überlegungen: «Es ist nicht hinnehmbar, dass ausübende Künstler*innen ohne ihre freie, vorherige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung und ohne finanzielle Entschädigung Opfer einer gross angelegten Verwertung ihrer Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile werden können. Die ausübenden Künstler*innen sollten das Recht haben, das Scraping [automatisches Extrahieren und Speicherung von Daten von Webseiten]  und die Analyse ihrer Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile durch ein KI-System zu genehmigen und wirksam zu verbieten, auch nach der Übertragung ihrer exklusiven Rechte, und eine finanzielle Entschädigung für eine solche Nutzung zu erhalten. Ausserdem muss sichergestellt werden, dass ausübende Künstler*innen das gleiche Mass an Schutz gegen die unerlaubte Nutzung ihrer Darbietungen durch KI geniessen, unabhängig davon, ob diese auf einem literarischen oder künstlerischen Werk, einem Ausdruck der Folklore oder auf KI-generiertem Material beruhen.»

Finanzieller Ausgleich

«Sobald die KI die Werke, Klänge, Stimmen, Bilder, Ähnlichkeiten oder Stile von Künstler*innen aufgenommen und analysiert hat, kann sie diese Daten nutzen, um neue Inhalte in einem Umfang zu produzieren, der eine erhebliche Marktverzerrung und eine objektive Bedrohung für die Karrieren und den Lebensunterhalt aller derzeitigen und künftigen Künstler*innen darstellt. Wir brauchen ein nachhaltiges rechtliches und wirtschaftliches Umfeld, welches wirksam verhindert, dass KI-generiertes Ton- und Bildmaterial den Markt durch Preise verzerrt, welche weit unter denen menschlicher Schöpfungen liegen, die durch Urheberrecht und verwandte Schutzrechte geschützt sind. In dem Masse, in dem KI-generierte Inhalte ihren Wert aus menschlichen Kreationen beziehen, die in grossem Umfang genutzt werden, ist es durchaus angebracht, obligatorische Entschädigungsmechanismen zu erwägen, welche der kreativen Gemeinschaft zugutekommen und für alle generativen KI-Werkzeuge gelten. Daher sollten innovative Vergütungsmechanismen auf der Grundlage der Produktion in Betracht gezogen werden. Für jede KI-gestützte Generierung von Musikinhalten sollten die ausübenden Künstler*innen fair entlohnt werden, da ihre Arbeit und ihr Talent die Wissensgrundlage für diese Inhalte bilden. Solche fairen Zahlungen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass die Arbeit einzelner Menschen durch generative KI normalisiert oder ungebührlich gefördert wird. Wir brauchen ein Vergütungssystem, das einen Produzenten, der den Einsatz generativer KI in Erwägung zieht, ehrlich dazu zwingt, die wirtschaftlichen Vorteile von Produkten und Darbietungen, die von Menschen erstellt wurden, gegenüber den Vorteilen von Produkten, die von generativer KI hergestellt wurden, abzuwägen.»

Dieses Thema wird auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Quelle von Auseinandersetzungen und Besorgnis sein. Zu den interessanten Reflexionen zu diesem Thema zählt das im Mai 2024 in Bern abgehaltene Symposium «Künstliche Intelligenz und Kreativität», das von der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, Suisseculture und der Eidgenössischen Filmkommission organisiert wurde. Videos der Beiträge sind auf der Website von Suisseculture zu finden.

FIM-Erklärung zu KI in der Musik