Interdisziplinäres Kolloquium Musik und Hörverlust
Musikhören mit Hörsystemen ist ein Thema, dem bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. Dass auf diesem Gebiet aber durchaus intensiv geforscht und entwickelt wird, zeigte das von der Firma Hörberatung Stückelberger organisierte Symposium am 19./20. Oktober in Zürich deutlich.
Das Thema ist insofern speziell, als zwar Hörhilfen für die Kommunikation nichts Besonderes mehr, ihre technische und ästhetische Entwicklung zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind. Ihre Funktionsweise ist jedoch lediglich optimal auf die Sprache eingestellt. Für differenziertes Hören von Musik sind ganz andere Voraussetzungen zu beachten. Das Klangfrequenzfeld von Musik ist weitaus grösser als dasjenige der menschlichen Sprechstimme, Tempo, Rhythmus und Klang spielen beim Sprechen keine so bedeutende Rolle wie in der Musik. Dass diese Parameter durch Hörhilfen möglichst genau erfasst und wiedergegeben werden, ist also für den Musikhörer – und noch viel mehr für den Musizierenden – enorm wichtig.
Dem Veranstalter, Michael Stückelberger, ist die Thematik ein persönliches Anliegen, ist er doch selber ein grosser Musikliebhaber – und auf Hörhilfen angewiesen. So stand hinter der Idee der Tagung die Absicht, internationale Referenten zusammenzubringen und zu vernetzen sowie gleichzeitig einen Abriss des Status quo der Entwicklung zu geben. Die Palette der Referenten war nicht nur international, sondern auch fachlich breit gefächert. Mediziner kamen genauso zu Wort wie Musiktherapeuten, Ingenieure, Tontechniker und Hörakustiker. Im Publikum fanden sich sowohl Interessierte, die selbst von Hörverlust betroffen sind, Fachleute aus der Branche oder auch Vertreter etwa der SUVA oder der Deutschen Orchestervereinigung DOV. Für alle dürften die Informationen hochinteressant gewesen sein.
Hörhilfen
Dr. Marshall Chasin von der Musician’s Clinic of Canada, Toronto, und Dr. Ulrike Stelzhammer von der Firma Advanced Bionics erläuterten Erkenntnisse und Entwicklungen bei Hörgeräten und Cochlea Implantaten, die laufend optimiert würden. Die Referenten wiesen ausserdem darauf hin, dass eine kompetente Begleitung der Patienten während der Eingewöhnung an die Hörhilfen absolut notwendig sei. Einen zusätzlichen Aspekt brachte Martin Eisele in die Runde, der sich mit In-Ear-Monitoren für Rock- oder Popmusiker befasst. Er ist der Überzeugung, dass die technischen Entwicklungen auf diesem Gebiet langfristig auch für Hörhilfen genutzt werden können, da offensichtliche Parallelen existieren.
Ein äusserst interessanter Beitrag kam von Dipl. Ing. Martin Kirchberger, der im Rahmen seiner Dissertation zurzeit ein Verfahren entwickelt, mit welchem das Hörvermögen von Musik getestet werden kann, und zwar nach den Parametern Metrik, Lautstärke, Rhythmus und Klang spezifiziert. Die Fachwelt erwartet mit Ungeduld diesen Test für die Anwendung in der Praxis.
Aus seinem reichen Erfahrungsschatz von über vierzig Berufsjahren als Tonmeister berichtete Jürg Jecklin, wobei die Musikaufnahme im Zentrum seiner Ausführungen stand. Da die konventionelle Aufnahme für den Normalhörer hergestellt wird, muss das Hören von Tonträgern für Personen mit Höreinschränkung in einem zweiten Schritt angepasst werden. Es stellt sich die Frage, ob mittels speziellem Kopfhörer (wie Jecklin bereits vor Jahren einen konstruiert hat) die Hörgeräte beschallt oder ob die akustischen Signale direkt auf die Hörhilfen übertragen werden sollen.
Gehörschädigung
Von den Hörhilfen ist es kein grosser Schritt zu den Verursachern von Hörschäden oder gar Hörverlust. Auch die Musik gehört dazu, ob für Zuhörer oder Ausführende. Dem Thema Lärmschwerhörigkeit widmete sich Prof. Dr. med. Rudolf Probst vom Universitätsspital Zürich zunächst im Allgemeinen. Er betonte, dass die Prophylaxe umso wichtiger sei, als Schwerhörigkeit nicht therapiert werden könne. Dessen ungeachtet spricht er der Musik auch äusserst positive Wirkungen zu, bis hin zur Ausschüttung bestimmter Endorphine, die sogar zur Sucht nach lauter Musik führen können. Dies jedoch in einer an sich harmlosen Ausprägung, mit dem Nachteil allerdings, dass betroffene Personen Gefahr laufen, langfristig ihr Gehör zu schädigen.
Gehörschutz
Dass nicht nur die Lautstärke, sondern vor allem die Intensität, also die Dauer der Belastung verantwortlich ist für Hörschädigungen, strich auch Dr. Chasin nochmals heraus und gab wertvolle Hinweise zu Möglichkeiten, wie Musiker ihr Gehör schützen können, angefangen bei den richtigen Raumverhältnissen, der Platzierung der Instrumentengruppen im Orchester bis zum individuellen Gehörschutz. Erfreut zeigte Chasim sich darüber, dass auch immer mehr junge Menschen einen Gehörschutz benutzen, dies inzwischen sogar als „cool“ gelte, wo es noch in den Neunzigern verpönt gewesen sei. Eine ähnliche Tendenz konnte von einem Orchestermusiker aus Deutschland bestätigt werden, da inzwischen teilweise bereits die Studierenden in den Hochschulen für das Thema sensibilisiert würden.
Ganz konkret mit dem otoplastischen Gehörschutz ER-15TM von Etymotic hatte sich Hörakustik-Meisterin Esther Merz befasst. Sie untersuchte die Wirksamkeit dieses Gehörschutzes resp. die Auswirkung auf die Hörwahrnehmung bei Personen, die eine andere Gehörgangsresonanz aufweisen als die ca. 2.7 kHz, für die der Gehörschutz eingestellt ist. Erwartungsgemäss musste sie diesbezüglich Mängel feststellen. Dessen ungeachtet ist dieser Gehörschutz etwas vom Besten, was momentan auf dem Markt erhältlich ist. Regelmässige Kontrollen und individuelle Anpassungen werden jedoch empfohlen.
Man kann ohne Einschränkung von einem gelungenen und höchst interessanten Symposium sprechen, dem hoffentlich weitere folgen werden. Die aktuellen Entwicklungen bieten jedenfalls noch lange genügend Informations- und Diskussionsstoff.
Sara Imobersteg
Informationen zu den Themen finden Sie u. a hier:
Stückelberger Hörberatung GmbH Zürich, www.stueckelberger-hoerberatung.ch
www.BionicEar.eu (Cochlea Implantate)
www.audioprotect.ch (In-Ear-Monitoring u.a.)
www.phonak.com (Hörlösungen)
www.suva.ch (Broschüre Musik und Hörschäden)